Down-Kinder: Kleine Eroberer der Herzen

15.4.2008, 00:00 Uhr
Down-Kinder: Kleine Eroberer der Herzen

© Rödel

«Wir wollten uns eine zweite Meinung einholen», erklärt Martina Stappel ihren Besuch in Nürnberg. «Jonathan mal Experten vorstellen, die ihn nicht kennen.» Eine Logopädin, eine Physiotherapeutin, ein Kinderarzt sowie eine Mitarbeiterin des Deutschen Down-Syndrom-Infocenters aus Lauf nehmen sich jeweils eine gute halbe Stunde Zeit, um den Entwicklungsstand des Dreieinhalbjährigen zu beurteilen und den Eltern Tipps zu geben, wie sie ihren Nachwuchs noch besser fördern können.

«Sie sind alle Individualisten»

Wie alle Menschen mit Down-Syndrom hat Jonathan statt der üblichen 46 Chromosomen in jeder Zelle 47 Stück. Das darin dreifach vorhandene Chromosom 21 führt zu Beeinträchtigungen, die von Fall zu Fall unterschiedlich ausgeprägt sind. Der kleine Erfurter hatte Glück und beispielsweise keinen angeborenen Herzfehler, mit dem Down-Babys viel häufiger zur Welt kommen als andere Säuglinge. Auch wenn sich Down-Kinder äußerlich und in ihrer freundlich-fröhlichen Art stark ähneln, ist Jonathans Vater überzeugt: «Sie sind nicht vergleichbar. Sie sind alle Individualisten.» Und dennoch «gelingt es diesen Wesen stets innerhalb kürzester Zeit, die Herzen ihrer Familie zu erobern», wie Oberarzt Gerhard Hammersen beobachtet hat.

Station eins in der Sprechstunde: Logopädin Carmen Barth will wissen, ob Jonathan andere Menschen beobachtet. «Ja, er guckt immer lange zu, was man mit den Dingen macht und ahmt das dann nach», berichtet die Mutter. Gestern habe sich der Sohn zum Beispiel in einem Restaurant die Geste fürs Bezahlen abgeschaut, pflichtet der Vater bei. «Jonathan hat dann den ganzen Abend immer wieder stolz Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinandergerieben.» Auf die Frage nach einem Elefanten mimt der Knirps fröhlich das Tier, gesuchte Gegenstände bringt er hilfsbereit. Sprechen kann der Dreieinhalbjährige aber bis auf ein paar Laute und das Wort «Papa» noch nicht. Die Logopädin beruhigt: «Down-Kinder kommen meist später zur Sprache. Die Voraussetzungen bei Jonathan sind prima.» Zweifel, dass durch die gebärdenunterstützte Kommunikation der Gebrauch von Wörtern zurückgedrängt werde, hält Barth entgegen: «Studien haben gezeigt, dass vor allem diejenigen Kinder schlecht sprechen, deren Eltern irgendwann den Input zurückfahren.»

Erst nach der Geburt von der Behinderung erfahren

«Geduld ist wahrscheinlich das, was sie uns am meisten lehren», meint später eine Mutter im Wartebereich der Klinik. Neugierig beobachten dort Eltern von Down-Babys, die mit ihrem Nachwuchs ebenfalls zu der Visite gekommen sind. den aufgeschlossenen, blonden Jungen mit der Brille. «Er hat nie gefremdelt», erinnert sich Vater Johannes Stappel.

Während Jonathan den Gang entlangflitzt und Kekse mampft, erkundigen sich Mütter nach dem Alter des Kindes, fragen, seit wann es läuft und seit wann es spricht. Martina Stappel, die - wie die meisten Mütter - erst kurz nach der Geburt von der Behinderung ihres Kindes erfahren hat, versteht die bangen Fragen nur zu gut.

Jonathan steht derweil gerne im Rampenlicht: Der Junge genießt es, wenn sich alles um ihn dreht. «Als er zu Besuch in der Schule seiner größeren Schwester war, hat er die ganze Klasse unterhalten», erzählt die kaufmännische Angestellte. Geht Jonathan allerdings etwas gegen den Strich, kann er schon mal seine Kniescheibe ausrenken. Mit dem lauten Knacken ärgert Jonathan nicht nur seine Eltern, wenn er zum Beispiel nicht ins Bett will, sondern verblüfft auch die Physiotherapeutin. Kinderarzt Hammersen vermutet dahinter eine schlechte Angewohnheit und kein körperliches Leiden.

Warum Jonathan seit seiner Geburt oft den Kopf schief hält, haben die Ärzte noch nicht herausgefunden. Es könnte mit seinen schlechten Augen zusammenhängen, hieß es. Physiotherapeutin Barbara Lohmann fällt auf, dass Jonathan den Kopf immer dann dreht und neigt, wenn Erwachsene von oben zu ihm sprechen. Sie rät darum, mehr auf Augenhöhe mit dem Kind zu gehen.

Vorliebe für Bananen

Außerdem empfiehlt Lohmann eine Vojta-Therapie, mit der die Familie aber früher schlechte Erfahrungen gemacht hat. «Jonathan war damals zwar noch sehr klein, aber nach einer Behandlung hat er sich zum Beispiel erbrochen.»

Dabei isst Jonathan für sein Leben gern, am liebsten Wurst und saftiges Obst. «Er neigt dazu, zu schlingen», sagt Mama Stappel. «Er kann zum Beispiel locker eine halbe Banane auf einmal in den Mund stecken.» Den Umgang damit haben die Eltern schon gelernt, sie geben Jonathan einfach nur kleine Stücke zum Essen und erinnern ihn immer wieder, gut zu kauen.

Bundesweit einmalig

«Schade, dass ich erst so spät von der Down-Sprechstunde erfahren habe», resümiert Martina Stappel den Vormittag. Er biete eine gute Anlaufstelle, um verschiedene Informationen aus einer Hand zu bekommen. Das bundesweit einmalige Angebot geht auf das Engagement von Cora Halder zurück. Selbst Mutter einer behinderten Tochter, setzt sich Halder seit 20 Jahren für Menschen mit Down-Syndrom und deren Familien ein.

Weitere Infos im Internet unter www.ds-infocenter.de. Die DownSyndrom-Sprechstunde findet jeweils am letzten Dienstag eines Monats statt. Familien mit Down-Kindern im Alter von null bis vier Jahren können sich telefonisch unter (0 91 23) 98 21 21 anmelden.