Dürer-Ausstellung im Endspurt

1.9.2012, 14:43 Uhr
Dürer-Ausstellung im Endspurt

© Michael Matejka

„Sie geben sich unglaubliche Mühe, den Leuten zu helfen, wo sie nur können. Es ist ein enormes Identifikationsgefühl entstanden. Wir werden sichtbar als großes Museum wahrgenommen.“

Bis zu fünf Stunden

Dass Wartezeiten bis zu viereinhalb Stunden, wie sie das Publikum jetzt zum Endspurt erlebt, kein Spaß sind, ist dabei auch Hess bewusst. Familie Scholler aus Ziegelstein, der am Ende der bis auf den Kornmarkt hinausreichenden Schlange gerade mitgeteilt wurde, dass es auch fünf Stunden dauern kann, überlegt sich jetzt eine „Strategie“: Die Mutter hält die Stellung, der Vater fährt mit den 13 und zehn Jahre alten Töchtern erst einmal wieder nach Hause — das wäre eine Möglichkeit. Rein wollen sie in jedem Fall. „Wenn wir jetzt aufgeben, schaffen wir’s nimmer“, meint Vater Dietrich Scholler.

Auch die meisten anderen halten durch. Das Schlangestehen vor Museen ist Bärbel Neumann aus Berlin bestens vertraut. Als dort die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ gezeigt wurde, „kamen an vielen Tagen zwei Drittel der Wartenden faktisch nicht mehr rein“, erzählt sie. „Die Ausstellung wurde einfach für mehrere Stunden geschlossen.“

Jetzt übt sich die 71-Jährige in Geduld und hat immerhin die Gewissheit, dass sie ihr Ziel erreichen wird. Das GNM sperrt niemandem die Tür vor der Nase zu, auch wer es erst bis zur offiziellen Schließzeit an die Kasse geschafft hat, kann sich die Schau in Ruhe anschauen. Vor 23 Uhr war in den letzten Wochen für die GNM-Mitarbeiter selten Feierabend.

Immer wieder ist dem Museum vorgehalten worden, es sei ein großer Fehler gewesen, keine Online-Tickets mit Zeitfenster anzubieten. Daniel Hess verteidigt die Entscheidung: „Wenn man Zeitfenster einrichtet, muss man die Leute auch nach zwei Stunden wieder rausschicken. Wir hätten sie wie eine Herde durch die Ausstellung treiben müssen. Das war uns absolut zuwider.“

Dürer-Ausstellung im Endspurt

© Michael Matejka



Seine Erfahrung mit dem Besucherverhalten in der Ausstellung gibt ihm Recht. Viele nehmen sich den halben Tag Zeit, können auch eine Mittagspause einlegen und ihren Rundgang anschließend mit dem Tagesticket fortsetzen, ohne draußen erneut anstehen zu müssen. „Wichtig ist ja nicht nur die Einschaltquote, sondern auch die Qualität der Wahrnehmung“, betont Hess.

Sehr gefreut hat ihn die konzentrierte Auseinandersetzung der Besucher mit den Zeichnungen Dürers. Hervorragend aufgenommen wurde auch das Konzept der Ausstellung, die Gemälde gleichrangig neben den Zeichnungen, Druckgrafiken und Buchillustrationen zu präsentieren. Gleiches gilt für den Wechsel der Wandfarben: Rot für die Dürer-Originale, Grau für die vergleichenden Werke seiner Mitstreiter und Vorgänger. „Anfangs haben wir befürchtet, dass die Inszenierung zu didaktisch ist, aber es hat großartig funktioniert“, so Hess

International höchstes Lob

So viel Eigenlob ist dem Kurator schon fast unangenehm — aber warum sollte er tiefstapeln? Die Ausstellung hat international höchstes Lob erfahren, wurde als „epochal“ gefeiert. Tiefgestapelt hat man anfangs jedoch mit den Besucherzahlen. Obwohl das Echo auf die Schau schon vor der Eröffnung enorm war, prognostizierte man 80.000 bis 100.000 Besucher. Am Ende werden es wohl annähernd 270.000 sein. „Intern sind wir auch zu Beginn schon von 150.000 ausgegangen, aber wenn man die Zahl nennt und sie nicht erreicht, gilt die Ausstellung als Flop“, so Hess.

Dass „Der frühe Dürer“ dem GNM den größten Erfolg seit der großen Dürer-Ausstellung 1971 zum 500. Geburtstag des Meisters bescheren würde, hat aber doch alle überrascht. „Die Schau 1971 war die erste Blockbuster-Ausstellung in der Geschichte des deutschen Museumswesens. Seitdem hat sich das kulturelle Angebot wahnsinnig vergrößert. Die großen Kunstzentren sind Berlin, München und Dresden. Nürnberg liegt da bei weitem nicht gleichauf. Ein solcher Erfolg war nicht kalkulierbar.“

Und man ist davon auch überrannt worden. Allein 1700 privat gebuchte und rund 2000 öffentliche Führungen brachten die aus konservatorischen Gründen maximal zulässige Kapazität von 400 Besuchern, die sich gleichzeitig in der Ausstellung aufhalten dürfen, täglich schnell an ihre Grenzen. Im Rückblick würde Hess die Inszenierung denn auch anders gestalten. „Wir sind von höchstens 300 Besuchern gleichzeitig ausgegangen. Für diese Größenordnung funktioniert die Präsentation wunderbar. Hätten wir mit so vielen Gruppenführungen gerechnet, hätten wir sie weiträumiger konzipiert.“

Grenzen ausgelotet

Selbstkritik übt Hess auch in punkto Online-Ticket-Verkauf. Da habe es technische Probleme gegeben: „Das ist optimierbar.“ Doch die positiven Aspekte der Schau überwiegen ohne Zweifel. „Das Publikum konnte Dürer wirklich neu entdecken, als einen Künstler, der immer auf der Suche nach Neuem war und Grenzen ausgelotet hat. Wir haben ihn in den Kontext seines Nürnberger Umfelds gestellt, aus dem er viele Impulse erhielt, die zu seiner Einzigartigkeit beigetragen haben. Das ist so bislang noch nicht erforscht worden“, betont Hess.

Dass ein Forschungsmuseum wie das GNM den Kontakt zum Publikum hält und mit breitenwirksamen Ausstellungen locken kann, hat die Dürer-Schau beispielhaft vorgeführt. Manch fehlende prominente Werke — allen voran das „Selbstbildnis im Pelzrock“, das München bekanntlich nicht hergeben wollte — haben auch die Besucher am Ende nicht mehr vermisst. „Wir hatten hochkarätigen Ersatz in genügender Fülle“, sagt Hess, der jetzt allerdings auch ganz froh ist, wenn der Dürer-Rummel endet.

„Es war wunderschön, was hier stattgefunden hat. Aber die Ausstellung hat alles derart dominiert, dass für viele andere Dinge keine Zeit mehr blieb.“ Bis kommenden Freitag sollen alle Werke zurück bei ihren Leihgebern sein. „Jetzt kommt der Abstieg vom Gipfel. Und da können auch noch Unfälle passieren, das sollte man nicht vergessen“, sagt Hess, schmunzelt — und hofft natürlich, dass nichts passiert.

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