Ein Glasbild der besonderen Art

19.3.2020, 19:13 Uhr
Ein Glasbild der besonderen Art

© Foto: Ursula Jüngst

Schon allein die Zahlen sind beeindruckend: Drei Jahre lang hat Ursula Jüngst an ihrem neuen Projekt gearbeitet, an dessen Ende nun ein Kunstwerk mit der enormen Fläche von 24 Quadratmetern steht. Aus Glas wohlgemerkt. "Das ist pure Malerei", sagt die Künstlerin, die sich damit künstlerisches Neuland erschließt.

Mit dem verwegenen Plan, ihre farbintensive Malerei in das fragile, durchscheinende Material zu übersetzen, hatte sie den Wettbewerb für die Gestaltung der Taufkapelle der Allerheiligen-Kirche in Schoppershof gewonnen. Die unter Denkmalschutz stehende Saalkirche ist ein charakteristisches Beispiel der Nachkriegsmoderne und wurde 1955 von Winfried und Peter Leonhardt erbaut. Die mit zwölf großen Fenstern versehene Taufkapelle ist als Rundbau an das Klanghaus angegliedert.

Derzeit wird der Raum noch von milchigem Industrieglas begrenzt. Das wird sich aber bald ändern. Wenn die Corona-Krise der 54-Jährigen keinen Strich durch die Rechnung macht, dann tanzt das Licht ab Pfingsten durch ihre bunten Fenster. Deren Herstellung war ein Kraftakt. "Ich kenne keinen anderen Kollegen, der auf diese Weise mit Glas arbeitet", sagt die mehrfach beim Kunstpreis der Nürnberger Nachrichten ausgezeichnete Künstlerin. Damit hat sie wohl recht. Vereinfacht könnte man sagen: Sie überträgt ihre Pinselstriche auf das Glas und bewahrt so ihren malerischen Gestus bis ins Kleinste.

Basis für das XXL-Glasfenster ist ihr Gemälde "Fiesta de la Vida", das in der Nähe von Barcelona – die katalanische Metropole ist so etwas wie Jüngsts zweite Heimat – im Freien entstand. Und das nicht nur, weil draußen das Licht heller und wärmer ist. Auch, weil sich wohl keine Halle gefunden hätte, an deren Wände ein 24 Quadratmeter großes Gemälde passt.

An der Außenwand einer Lagerhalle entstand also das Werk, für das Ursula Jüngst auf hohen Gerüsten mit ihrem Pinsel unterwegs war. Es ist ein flirrender Tanz der Farben. "Farbformkörper" nennt die Malerin ihre so charakteristischen Striche, die das Modul für all ihre Kompositionen sind. "Die Striche sind Träger meiner Gefühle und Erfahrungen", sagt die Künstlerin. Sie variiert Richtung, Tempo und Farbdichte beim Auftragen und schafft so tausende von (Farb-)Begegnungen und -Nuancen auf ihren Leinwänden.

Ein Glasbild der besonderen Art

© Foto: Ursula Jüngst/privat

Dieses Bild wurde dann mit Hilfe einer Spezialfirma im Taunus und in aufwändiger Handarbeit der Künstlerin in Glas übersetzt. Und das ging so: Weil Gelb und Blau die dominierenden Farben der Komposition sind, wurden in einer Glashütte in Waldsassen mundgeblasene Glasplatten in Blau oder Gelb hergestellt, die später in der Taufkapelle als mehrschichtige Fenster hintereinander montiert werden. "Schon dieses Glas ist wunderschön, weil es so unregelmäßig ist und Lufteinschlüsse hat", sagt Jüngst. Die Platten hat sie in einem aufwändigen Ätzverfahren in mehreren Schritten bearbeitet. Das Besondere daran: Die Striche in unterschiedlich dunklem Gelb und Blau auf den einzelnen Scheiben wurden nicht aufgemalt, sondern entstanden durch einen Abtrageprozess, was die Anmutung des fertigen Fensters beeinflusst: "So bleibt das Pastose erhalten", sagt die Künstlerin.

Wer ihre Bilder kennt, der weiß jedoch, dass sie sich nie auf nur zwei Farbtöne beschränken, sondern ein Fest der Farben sind. Lila, Grün, Rot, Violett oder Orange mussten zu den tragenden Grundtönen also noch dazukommen. Ursula Jüngst hat sie per Hand auf die geätzten Platten aufgetragen. Und das mehr oder weniger im Blindflug. Denn was beim Auftragen rosé aussieht, wird erst nach neun Stunden bei 580 Grad im Ofen zu dem gewünschten Grün. "Man muss wissen, wie sich das zum Beispiel mit dem Gelb addiert", erklärt Jüngst das komplizierte Verfahren. Um bei der Verwendung der Farben immer richtig zu liegen, hat sie sich Musterplättchen mit genauen Bezeichnungen erstellt. Malen nach Zahlen im großen Stil sozusagen.

Und wie identisch sind nun das Leinwandgemälde und das Fenster? "Es ist schon etwas anderes", sagt die Künstlerin. "Ich musste das Bild loslassen, weil die Farben doch anders sind. Aber ich wollte mich auf dieses Material einlassen und mit ihm arbeiten." Mit dem Ergebnis ist sie sehr zufrieden: "Je nach Lichteinfall schillert und schimmert es anders, selbst bei wenig Licht kann man das ganze Werk sehen. Im Halbrund der Taufkapelle steht man in einem neuen Kosmos."

Auch sie selbst habe sich mit diesem künstlerischen Weg einen neuen Kosmos erschlossen, den sie gern weiter erkunden würde. Ideen dafür hat sie. Doch jetzt steht erst einmal die endgültige Fertigstellung des Auftrags für die Allerheiligen-Kirche an. Im Mai soll der Einbau fertig sein.