Ein Jahr danach: Der NSU-Schock und seine Folgen

31.10.2012, 11:07 Uhr
Ein Jahr nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle gibt es noch viel aufzuarbeiten.

© Uwe Zucchi, dpa Ein Jahr nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle gibt es noch viel aufzuarbeiten.

Der Schock sitzt bis heute tief. Am 4. November 2011 wurden in einem ausgebrannten Wohnmobil im thüringischen Eisenach Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot aufgefunden. Ihre Komplizin Beate Zschäpe stellte sich wenig später der Polizei. Es folgte die Aufdeckung einer beispiellosen Serie an Verbrechen, Morden und Abscheulichkeiten – und die düstere Erkenntnis, dass die Sicherheitsbehörden in dem Fall kolossal versagten. Das rechtsextreme Trio hatte jahrelang unerkannt geraubt und getötet.

Inzwischen herrscht Einigkeit, dass sich in Deutschland viel ändern muss, um ein solches Desaster in Zukunft zu verhindern. Doch die politische Aufarbeitung steht noch am Anfang. Nach dem Auffliegen der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) begann die parlamentarische Aufklärung. Mehrere Untersuchungsausschüsse wurden eingesetzt: im Bundestag und in den Landtagen von Thüringen, Sachsen und Bayern. Aus Thüringen stammen die drei, in Sachsen tauchten sie jahrelang unter, in Bayern begingen sie die meisten Morde.

Die parlamentarischen Aufklärer brachten in den vergangenen Monaten immer neue ernüchternde Erkenntnisse ans Licht: Die Sicherheitsbehörden sprachen zu wenig miteinander, Akten gingen im Behörden-Wirrwarr unter, Informationen machten an Landes- oder Behördengrenzen Halt. Immer mal wieder kamen Ermittler dem Trio bei ihren Nachforschungen nahe. Doch sie stellten die falschen Fragen, erkannten Zusammenhänge nicht – und bis zuletzt auch nicht den rechtsextremen Hintergrund der Mordserie.

Die Einsicht für eigene Fehler ist bei den Sicherheitsbehörden trotzdem bislang wenig ausgeprägt. Polizisten und Verfassungsschützer räumten zwar ein, einige Strukturen müssten sich ändern und der Austausch von Informationen müsse besser werden. Von einem Scheitern der Behörden wollten die meisten aber nicht reden.

Auftritte wie die des früheren Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, waren in den vergangenen Monaten eine Seltenheit. Fromm gab sich im Juli im NSU-Ausschuss des Bundestages reumütig, übte sich in Selbstkritik und sagte, die Gefahr rechtsterroristischer Strukturen sei borniert ausgeblendet worden. Fromm räumte seinen Posten, weil in seinem Haus noch nach dem Auffliegen der Terrorzelle sensible Unterlagen zur rechten Szene im Reißwolf landeten.

Auch andere oberste Verfassungsschützer – aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt – mussten wegen Fehlern in ihren Behörden abtreten. Einige unken, die Serie von Rücktritten sei sicher noch nicht am Ende. Die Sicherheitsbehörden – allen voran der Verfassungsschutz - haben durch ihr Vorgehen extrem an Vertrauen verloren. Es herrscht Konsens, dass die Sicherheitsarchitektur in Deutschland schwer reformbedürftig ist. Nur was genau passieren soll, darüber gehen die Meinungen weit auseinander.

Einige Dinge brachte die Bundesregierung nach dem Auffliegen der Terrorzelle schnell auf den Weg: Das Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus in Köln und Meckenheim zum Beispiel, in dem sich die Sicherheitsbehörden ständig über Gefahren aus der rechten Szene austauschen. Oder die Neonazi-Datei, in die Ermittler aus Bund und Ländern Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten bündeln.

Andere Dinge brauchen mehr Zeit. Die Debatte über die Reform des Verfassungsschutzes etwa steckt noch in den Anfängen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wagte sich vor einigen Monaten mit der Idee vor, die Fälle von gewaltbereiten Extremisten beim Bundesamt für Verfassungsschutz zu konzentrieren. Aus den Ländern kam prompt Widerstand. Sie wollen sich beim Verfassungsschutz keine Kompetenzen wegnehmen lassen. Die Gespräche dazu laufen.

Strittig diskutiert wird auch, ob Bund und Länder einen weiteren Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen NPD wagen. Friedrich hat Vorbehalte, einige Länder auch. Sie fürchten sich vor einem erneuten Misserfolg: Ein erster Versuch war 2003 vor dem Verfassungsgericht gescheitert, weil der Verfassungsschutz auch in der NPD-Spitze Informanten hatte. Die Entscheidung über einen möglichen zweiten Anlauf soll Anfang Dezember fallen. Mit anderen Schlussfolgerungen aus den fatalen Fehlern im Fall NSU wird es deutlich länger dauern.

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