Ein Sieg gegen die Schwerkraft

21.12.2009, 00:00 Uhr
Ein Sieg gegen die Schwerkraft

© Zink

«Parkour», das bedeutet die schnellste und effizienteste Art und Weise, auf der sich der «Traceur» von Punkt A nach Punkt B begeben kann. Der Sport gründet sich auf David Belle, der von seinem Vater, einem Vietnam-Soldaten, die «Méthode Naturelle» erlernte – ein spezielles Training, das die Körperbeherrschung in den Vordergrund stellt und noch heute Bestandteil der militärischen Ausbildung ist. Belle übertrug das Gelernte auf seine Umwelt, die Pariser Vororte der 80er Jahre. Es entwickelte sich eine Sportart, die sich aus zahllosen Elementen wie Sprüngen und Landungen in allen möglichen Varianten auszeichnet. Jedoch sehen sich die «Traceure» nicht notwendigerweise als Athleten; vielmehr üben sie eine Kunst aus, die sich dem Wettkampfcharakter nicht unterordnet. Zwar werden inzwischen vermehrt künstliche Areale aufgebaut, in denen die «Traceure» um die Wette rennen, springen und sich um Hindernisse winden können, doch widerspricht das klar der Kerndefinition des «Parkour».

«Wir wollen, dass unser Sport frei bleibt. Kein Verein, kein Trainer, keine Regeln. Daher sind Wettkämpfe eher unüblich», stellt Kevin Kirbach klar. Der 18-Jährige gehört zu einer rund 25-köpfigen Gruppe von «Traceuren», die in den kalten Wintermonaten in die Sporthalle des Martin-Behaim-Gymnasiums ausweicht. Kirbach ist zudem Mitglied der Gruppe NBG Movement, die sich gemeinsam der Verachtung der Erdanziehungskraft verschrieben hat. «Es geht nicht um Siege und Wettkämpfe, sondern um Freundschaft», so Kirbach. Auf Szene-Treffen tauscht man sich aus, trifft alte Bekannte aus aller Welt und sieht sich an, welche Tricks die anderen mittlerweile auf dem Kasten haben. Weiter erklärt er: «Es gibt auch noch weitere Unterarten. Man unterscheidet noch zwischen den Disziplinen des ,free-running‘ und ,tricking‘.»

Beim «free-running», übersetzt freies Laufen, verzichten die «Traceure» auf die Regel der Effizienz in ihren Bewegungen und spielen regelrecht mit den Hindernissen, die sich ihnen in den Weg stellen. Unter «tricking» versteht man den kreativen Mix aus Akrobatik und Bewegungen, die aus diversen Kampfsportarten entliehen werden. «Ich persönlich bin mit Leib und Seele dem ,tricking‘ verschrieben. Aber jeder nach seinem Geschmack», mag Kirbach keine der Deviationen der anderen vorziehen. Er selbst begann seine Karriere auf einem Trampolin am Dutzendteich: «Irgendwann wollte ich die Dinge, die ich im Internet und auf Videos gesehen habe, ausprobieren.»

Auch Marc Michaud ist dabei, wenn Woche für Woche aus einer schnöden Schulsport-Halle ein Abenteuerspielplatz für Akrobaten wird. Der 20-Jährige war selbst Schüler am Martin-Behaim-Gymnasium und gründete die Schüler-AG, die den 12- bis 20-Jährigen, unter die sich auch eine Handvoll Mädchen gemischt haben, die Trainingszeit bescherte. Den Unterschied «seiner» Sportart zu herkömmlichen Disziplinen kann auch er nur schwer in Worte fassen. «Beim Turnen zum Beispiel ist das Ziel das Ziel. Man übt, um zu gewinnen. Bei uns hingegen ist der Weg das Ziel.»

Wichtig ist Michaud, wie auch den anderen, nicht als Straßen-Rüpel aufzufallen: «Wir respektieren das Eigentum anderer, würden niemals durch fremder Leute Hinterhöfe laufen.» Auch legen sich die «Traceure» innerhalb ihrer Disziplinen selbst ein strenges Reglement auf. Salti im «Parcour» sind verboten, beim «free-running» hingegen erlaubt; Sprünge und Tricks dürfen erst dann auf der Straße vorgeführt werden, wenn sie auf weichen Matten einwandfrei sitzen.

Michaud selbst hat sich den Sprüngen verschrieben. Je höher und weiter, desto besser. Halsbrecherisch schwingt er sich wie zum Beweis auf einen schmalen Fenstersims in zweieinhalb Metern Höhe, indem er mit Schwung die Wand hoch läuft. Obern angekommen stürzt er sich mit einem Salto wieder hinunter. Nach der sicheren Landung auf der weichen Matte strahlt er: «Es gibt nichts Schöneres, als wenn man endlich einen Trick schafft, den man lange geübt hat.»

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