Ein Techniker mit Kämpfernatur

19.4.2009, 00:00 Uhr
Ein Techniker mit Kämpfernatur

© Archiv SpVgg Fürth

Er freue sich, wenn er durch die Stadt spaziert und ihn wildfremde Menschen grüßen. «Das zeigt mir, dass ich recht daran getan habe, die Spielvereinigung Fürth erst zum Ende meiner Karriere zu verlassen. Ich hänge seit meinen Jugendjahren an dieser Stadt», sagt er heute. Und so tat es ihm auch besonders weh, als er nach seinem Wechsel zum FC Bayern ausgerechnet im ersten Saisonspiel der Oberliga Süd 1962 gegen seinen alten Verein nach einem Traumpass von Peter Grosser das 1:0- Siegtor für seinen neuen Klub schoss. Erhardt: «Diesen Augenblick konnte ich nie aus meinem Gedächtnis streichen.»

Lange hatte «Ertl» Erhardt allen Lockungen der Konkurrenz widerstanden, hatte Angebote von Köln, wo er fast unterschrieben hätte, Karlsruhe, Eintracht Frankfurt und anderen deutschen Spitzenvereinen abgelehnt. «Ich bin einfach von Fürth nicht losgekommen.» Erst als Bayern München ihn 1962 während der WM in Chile kontaktiert habe, sei er schwach geworden. 50 000 Mark, mit denen er sich ein Grundstück in der Kronacher Straße kaufte und das Haus darauf baute, in dem er seither wohnt, erleichterten ihm die Entscheidung. «Doch in Fürth wurde ich deshalb als Vaterlandsverräter beschimpft», so die Fußballlegende.

Aus heutiger Sicht wäre es seiner Ansicht nach besser gewesen, eher zu einem der späteren Bundesligisten zu wechseln. In der Fürther Mannschaft habe er sich zwar wohl gefühlt, aber sie habe keine Zukunft gehabt, denn die Abwehr einschließlich der Torhüter sei nach dem Weggang von Charly Mai (der 1958 zum FC Bayern gewechselt war) einfach zu schwach gewesen. «Als Stopper konnte ich beileibe nicht alles ausbügeln», so der 78-jährige.

Einzug in die Endrunde

Und auch der glanzvolle Angriff habe nicht die Zugehörigkeit zur Creme der süddeutschen Oberligisten sichern können. Dieser gehörten die Fürther 1950 mit Platz zwei und 1953 mit Rang drei an, womit ihnen zweimal der Einzug in die deutsche Endrunde gelang.

Den bittersten Moment seiner Laufbahn musste er bei der WM 1954 in der Schweiz erleben. Er hatte fest damit gerechnet, dort zum Zuge zu kommen. Doch Bundestrainer Sepp Herberger ließ ihn ebenso links liegen wie den Augsburger Ulrich Biesinger, Torhüter Heinz Kubsch (Pirmasens) und Karl-Heinz Metzner (Kassel). Auswechselspieler gab es damals nicht.

So kehrte der Fürther zwar mit einem Radiogerät als Prämie nach Hause zurück, aber die Enttäuschung war riesengroß. Doch bald sollte der körperlich robuste, aber seelisch leicht verwundbare Sportler eine feste Größe in Herbergers Planungen sein. Von 62 Länderspielen, die nach der WM bis zu seinem letzten internationalen Auftritt ausgetragen wurden, bestritt er 50. Und zwischen 1959 und 1962 führte er in 18 Begegnungen die Mannschaft als Kapitän auf das Feld.

Dabei war er nicht nur bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz mit Herbergers Entscheidungen oft wenig einverstanden. Bessere Verteidiger als Werner Kohlmeyer und stärkere Mittelläufer als Werner Liebrich hätten keine Chance bekommen. «Und 1962 hatten wir einen Sturm, der zu wenig Tore schoss, auch weil bessere Angreifer gar nicht nominiert waren. Keiner wagte aber, gegen Sepp Herberger aufzumucken. Was er verkündete, war einfach ein Evangelium», erzählt Herbert Erhardt.

Schlagkräftige Abwehr

Bei der WM 1958 in Schweden bestritt er alle sechs Spiele und bildete mit seinen Teamkollegen eine vorzügliche Abwehr. Nach der 1:3- Niederlage in der stark emotionsgeladenen Partie gegen Schweden und dem Platzverweis von Erich Juskowiak unterlag die deutsche Mannschaft im Entscheidungsspiel um Platz drei den Franzosen mit 3:6.

Vier Jahre später wurde die WM in Chile zu einer Enttäuschung. «Wir waren damals stärker als die Elf von 1954, schieden aber nach starkem Beginn durch eine 0:1-Niederlage gegen Jugoslawien vorzeitig aus. Da reifte in mir der Entschluss, international einen Schlussstrich zu ziehen, was ich nie bereut habe, auch wenn ich erst 32 Jahre alt war.»

Sein größtes Spiel aber hatte der Fürther schon 1958 bestritten. Bei der WM-Vorbereitungsbegegnung gegen Spanien in Frankfurt legte er den damals als bester Fußballer der Welt geltenden Alfredo Di Stefano «an die Kette». Wie ein Wachhund begleitete er den Spanier, der kaum einen Stich machte. Er sei zwar nicht der Schnellste gewesen, doch weil er die Aktionen des Gegners voraussah, sei er immer rechtzeitig zur Stelle gewesen, um dessen Angriffsbemühungen im Keime zu ersticken. Die internationale Presse lobte den damals 28jährigen Franken, der 1948 mit 18 Jahren seine ersten Spiele im Team der SpVgg Fürth absolviert hatte, in den höchsten Tönen.

«Ertl» Erhardt fühlt sich allerdings nicht richtig beurteilt, wenn man vor allem seine kämpferischen Fähigkeiten hervorhebt. «Ich war ein technisch außerordentlich beschlagener Fußballer", findet er heute. Vor allem Wettbewerbe im Fußballtennis hätten dazu beigetragen. «Ich war perfekt am Ball, schoss beidfüßig hart und genau. Und mit der von den Engländern übernommenen Grätsche konnte ich mit gesunder Härte viele brenzlige Situationen bereinigen. Als Abwehrorganisator kam mir mein strategisches Geschick zugute,» so seine selbstbewusste Selbsteinschätzung.

Fast jede Begegnung der SpVgg Greuther Fürth verfolgt Herbert Erhardt heute von der Gegentribüne aus. Mit dabei ist stets seine Frau Karin, mit der er seit 1962 verheiratet ist und deren Eltern in Fürth eine Gaststätte betrieben. Er freut sich und leidet mit seinen Nachfolgern im Ronhof, kann nicht verstehen, dass auch in dieser Saison wieder nach starken Leistungen plötzlich ein Leistungsabfall eintrat und die Mannschaft erneut Gefahr läuft, den Aufstieg in die Bundesliga zu verpassen. Sein Fazit: «Ich glaube, dass die Verantwortlichen mit den Spielern mal Fraktur reden sollten.»

Falls es in diesem Jahr mit dem Einzug ins Oberhaus zum wiederholten Mal nicht klappt, könnten die Ronhofer ihrem Aushängeschild «Ertl» Erhardt 2010 den Aufstieg als Geschenk zum 80. Geburtstag präsentieren. «Das wäre toll», sagt Erhardt, der am 6. Juli 1930 geboren wurde und seine Jugend in der Mondstraße verbrachte, wo auch seine Gattin aufwuchs. Er hoffe nur, dass er das noch bei guter Gesundheit erleben könne. Bisher halten sich die Altersbeschwerden in Grenzen. Nur die Beine bereiten Probleme. Der Geist aber ist hellwach. Erhardt zuversichtlich: «Bei meiner Jugendliebe, bin ich in besten Händen.»

Glückliches Privatleben

Der Altinternationale, der rund 1000 Spiele im grünweißen Dress bestritt, will und kann nicht klagen. Er habe viel erlebt in seiner Fußball-Karriere, habe viele Länder mit dem Verein und der Nationalmannschaft besucht und dabei viel Lebenserfahrung gesammelt.

Mit seinen zwei Töchtern, die erst nach Abschluss seiner Karriere zur Welt kamen, und deren Familien bilden er und seine Frau eine enge Gemeinschaft. Daraus resultiert auch seine große Zufriedenheit mit dem, was ihm das Leben geschenkt und was er daraus gemacht hat. Erfüllung brachte ihm auch seine Berufstätigkeit als Sportlehrer. Bis zu seiner Pensionierung mit 65 Jahren hielt er Jungen und Mädchen an der Schule in der Pfisterstraße in Bewegung.

Nur eines bedauert Herbert Erhardt: Dass er noch zu lange in Prominentenmannschaften gespielt hat. «Ich war über 55 Jahre alt, ehe ich die Fußballstiefel endgültig an den Nagel gehängt habe. Das hätte ich früher tun sollen, denn mit zunehmendem Alter wurde das Spielen gegen meist jüngere Gegner doch zu einer Quälerei.»

KLAUS WESTERMAYER