Ein Zufluchtsort seit sieben Jahrhunderten

26.10.2017, 18:25 Uhr
Diese Ansichtskarte, entstanden zwischen 1905 und 1916, garnierte der Verleger mit ländlichem Idyll und ein paar historischen Eckdaten.

© Erwin von Leistner (Sammlung Sebastian Gulden) Diese Ansichtskarte, entstanden zwischen 1905 und 1916, garnierte der Verleger mit ländlichem Idyll und ein paar historischen Eckdaten.

Manchmal ist es schön, wenn sich nichts ändert. Das scheint auch bei der Kirche St. Georg der Fall zu sein, die seit über sieben Jahrhunderten stolz am Rande des Dorfes Kraftshof thront. Doch der Schein trügt: Es ist das Verdienst beherzter Retter, fleißiger Restauratoren und zweier edler Stifter, dass das wohl beliebteste Postkartenmotiv des Knoblauchslands heute wieder strahlen kann.

St. Georg ist das seltene Beispiel einer sogenannten Wehrkirche oder Kirchenburg, wie man sie in der Region heute noch in Effeltrich bei Forchheim oder in Hannberg nahe Erlangen findet. In Kriegszeiten nahm die Bevölkerung hinter den dicken Mauern und Türmen Zuflucht, so etwa während des Dreißigjährigen Krieges, als die Truppen des schwedischen Königs Gustav II. Adolf und des kaiserlichen Heerführers Wallenstein die Gegend in Schutt und Asche legten.

Während St. Georg den Dreißigjährigen Krieg einigermaßen heil überstand, war die Kirche den Fliegerbomben des Zweiten Weltkriegs gegenüber schutzlos: In der Nacht vom
25. auf den 26. Februar 1943 gingen verirrte Fliegerbomben über Kraftshof nieder, die die Royal Air Force wegen der dichten Wolkendecke über dem Knoblauchsland abwarf.

Noch heute wirken St. Georg und seine Befestigung wie die Szenerie aus einem Märchenbuch – Mensch und Tier gefällt’s.

Noch heute wirken St. Georg und seine Befestigung wie die Szenerie aus einem Märchenbuch – Mensch und Tier gefällt’s. © Sebastian Gulden

Eine davon durchschlug das Lang-hausdach der Wehrkirche, die bis auf die Grundmauern ausbrannte. Pfarrer Hans Freymann und ein Konfirmand eilten in der Katastrophennacht in die brennende Kirche, um unter Gefahr für Leib und Leben zumindest einige der unersetzlichen Kunstwerke zu retten.

Hilfe für den Wiederaufbau des Kleinods kam aus den Vereinigten Staaten: Stolze 262 000 Mark stifteten die Brüder Samuel Henry und Rush Kress mit ihrer Kress Foundation.
Als Angehörige des alten ratsfähigen Nürnberger Geschlechts Kreß von Kressenstein hatten sie persönliche Bindungen an die Kraftshofer Kirche: Die Familie hatte seit 1781 das Patronat über St. Georg inne und kam etwa für den Bauunterhalt und die Entlohnung des Pfarrers auf; einige ihrer Mitglieder ruhen in der Gruftkapelle östlich des Kirchturms. 1952 konnte das nach Plänen von Architekt Max Kälberer wiederaufgebaute Gotteshaus feierlich eingeweiht werden.

or der Bombennacht 1943 füllten Kunstwerke aus vielen Jahrhunderten die Kirche buchstäblich bis unter die Decke.

or der Bombennacht 1943 füllten Kunstwerke aus vielen Jahrhunderten die Kirche buchstäblich bis unter die Decke. © Ludwig Riffelmacher (Sammlung Sebastian Gulden)

Damals wie heute ist St. Georg eine Kirche wie aus dem Bilderbuch, mit hohem Satteldach über dem Langhaus und gedrungenem Turm mit spitzem Helm. Typische Formen des gotischen Stils, etwa die spitzbogigen Fenster mit Maßwerk, beleben die Fassaden des mehrfach erweiterten Bauwerks.

Die trutzige Mauer mit ihren Wehrgängen, vier Türmen und dem früheren Schulhaus über der Einfahrt umschließt einen verwunschenen Kirchhof mit alten Gräbern, Wiesen, Beeten und Laubbäumen.

Während sich die Außenansicht der Kirche wenig verändert hat, ist die einst überreiche Inneneinrichtung merklich geschwunden. Zahllose im Zweiten Weltkrieg zerstörte Kirchen waren vom Purismus der 1950er Jahre geprägt, der darum bemüht war, den vermeintlichen "Urzustand" eines historischen Bauwerks wiederherzustellen und sich dabei nicht selten zu radikalen Entrümpelungen und freien Ergänzungen ohne wissenschaftliche Grundlage verstieg.

Vieles ging verloren, vieles wurde gerettet, etwa die Madonnenfigur links, die Pfarrer Freymann aus den Flammen rettete.

Vieles ging verloren, vieles wurde gerettet, etwa die Madonnenfigur links, die Pfarrer Freymann aus den Flammen rettete. © Sebastian Gulden

St. Georg blieb dieses Schicksal erspart. Neben den gotischen Bildwerken wie der kostbaren Madonna auf dem linken Seitenaltar kamen auch die Zutaten der Barockzeit, etwa der prächtige Taufsteindeckel, wieder zu Ehren. Den Platz des zerstörten Hauptaltars nimmt heute ein gotisches Flügelretabel mit dem Relief des Schutzheiligen St. Georg ein.

Zur Neugestaltung der Langhauswände steuerte das Germanische Nationalmuseum mehrere "Totenschilde" bei, die im Gebiet der ehemaligen Reichsstadt Nürnberg traditionell zum Andenken an verstorbene männliche Mitglieder der ratsfähigen Familien aufgehängt wurden.

Kein Wandel ohne Beständigkeit: Heute, gut 74 Jahre nach der Bombennacht, ist St. Georg wieder das schillernde Wahrzeichen Kraftshofs und ein schönes Zeugnis dafür, wie Liebgewonnenes, das verloren schien, durch den Einsatz vieler helfender und verständiger Hände fortbestehen kann.

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