Eine Familie, die den Rahmen sprengt

13.8.2018, 08:00 Uhr
Eine Familie, die den Rahmen sprengt

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Wirklich still ist es im Haus von Franziska und Stefan Schäfer eigentlich nur spät in der Nacht – wenn alle schlafen. Und sonderlich lange hält der Zustand auch nicht wirklich an: Die Schäfers haben vier Kinder, ein quasi todsicheres Rezept für lange Tage und mitunter extrem kurze Nächte. "Ich sage es jetzt mal gerade heraus: Es ist wahnsinnig viel Arbeit", sagt Stefan Schäfer. "Aber es ist ein absolut selbstgewähltes Schicksal", fügt er mit einem Lächeln hinzu.

Familien wie die Schäfers – Vater Stefan, Mutter Franziska und die Kinder Julian (11), Sophie (10), Anna (7) und Emma (3) – sind selten geworden in Deutschland: Statistisch betrachtet haben aktuell lediglich zwei Prozent der Familien mehr als drei Kinder. Im europäischen Vergleich ein niedriger Wert: In Polen, Finnland und Frankreich beispielsweise haben sechs Prozent der Familien mindestens vier Kinder, in Irland sind es sogar deutlich über zehn Prozent.

Darüber, dass sie gerne eine große Familie hätten, waren sich die Eheleute schnell einig. "Dabei sind wir nicht vorbelastet", scherzt Stefan Schäfer: Beide haben jeweils "nur" ein Geschwisterteil. Ob sie ihren Wunsch auch verwirklichen können, war jedoch eine andere Frage. Denn nur aus dem Bauch heraus wollten sie ihre Entscheidung nicht treffen. "Es gab viele Gespräche darüber, welche Veränderungen eine Familie in dieser Größenordnung mit sich bringt", erinnert sich der 48-Jährige.

Laut einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (Bi B) ist die sinkende Zahl der Kinder innerhalb deutscher Familien das Ergebnis einer kontinuierlichen Entwicklung über Dekaden hinweg. Während von den im Jahr 1940 geborenen Frauen noch 27 Prozent mindestens drei Kinder zur Welt brachten, waren es bei Frauen des Jahrgangs 1970 nur noch 15 Prozent. Im Gegensatz dazu ist der Anteil von Frauen, die gar kein Kind bekommen, stark angestiegen: von 12 Prozent (Jahrgang 1940) auf 21 Prozent (Jahrgang 1970). Der Anteil der Frauen, die zwei Kinder zur Welt gebracht haben, ist mit rund 38 Prozent gleich geblieben.

In den Gesprächen der Schäfers spielte auch das Thema Finanzen eine Rolle. "Wir kommen beide aus der Betriebswirtschaft", sagt er. "Es hat für uns Sinn gemacht, sich mit diesem Aspekt zu beschäftigen." Als Sachbearbeiter im technischen Kundendienst in Regensburg verdient Stefan Schäfer "normal", wie er sagt. Seine Frau ist nach der Mutterschaft zunächst nicht in ihren Beruf bei einem Logistikunternehmen zurückgekehrt. Eingeplant ist dieser Schritt allerdings schon – wenn die Kinder ein bisschen größer sind.

"Natürlich bemerkt man die Blicke, wenn man mit einer halben Kompanie zur Türe reinkommt."

Mit ihrem durchschnittlichen Einkommen sind die Schäfers fast schon die Ausnahme: Vier und mehr Kinder finden sich laut Statistik entweder in sozial schwachen Familien oder in solchen, in denen überdurchschnittlich viel Geld zur Verfügung steht. Forscher vermuten dahinter, dass die Mittelschicht aus Furcht, den Lebensstandard nicht halten zu können, bei ein oder zwei Kindern bleibt.

"Über die letzten Jahrzehnte hinweg ist in Deutschland zwei als die ideale Kinderzahl angesehen worden", erläutert der Soziologe Dr. Detlev Lück vom Bi B. Als Ursachen für die Abnahme kinderreicher Familien gelten längere Ausbildungszeiten und spätere Berufseinstiege, wodurch sich die Zeitspanne für die Familiengründung reduziert hat. Aber auch gesellschaftliche Normen haben zum Rückgang der Kinderzahlen beigetragen.

"Es waren nicht immer nur einfache Gespräche", sagt die gebürtige Nürnbergerin Franziska Schäfer. "Geld ist sicherlich nicht alles. Sicherheit bietet es allerdings schon. Was passiert mit meiner Rente, wenn ich zuhause bei den Kindern bleibe? Was passiert, wenn Stefan nicht mehr arbeiten kann? Wie sieht der Alltag aus, wenn man nur ein Gehalt zur Verfügung hat?" Vater Stefan gibt die Antwort: Man nage nicht am Hungertuch. Lediglich das Thema Urlaub sei ein wunder Punkt, sowohl logistisch als auch finanziell.

Zumindest ist der Familie die oft ebenso schwierige wie langwierige Suche nach geeignetem Wohnraum erspart geblieben – auch, weil sie den Traum von einem großen Haus samt Garten im Herzen der Stadt schnell aufgegeben hat. Stattdessen wurde es ein Reihenhäuschen am Stadtrand von Regensburg. Ein Zufallsfund, eine Vernunftentscheidung. Und nur dank finanzieller Unterstützung der Großeltern zu stemmen. "Ein bisschen im Niemandsland", sagt Stefan Schäfer, der während seiner Studienzeit in Nürnberg noch das Leben in einer Wohngemeinschaft unweit der Weißgerbergasse genoss. "Aber es funktioniert für uns." Zu den Nachbarn hat die Familie ein gutes Verhältnis, auch wenn es mit vier Kindern manchmal "ein bisschen chaotisch" wird. Das ist nicht selbstverständlich, weiß Franziska Schäfer von vielen Erzählungen aus dem Freundeskreis. Deutschland gilt als kinderfeindlich: zu viel Lärm, zu viel Dreck. "Kinderreiche Familien fühlen sich oftmals stigmatisiert", so Soziologe Lück.

Stigmatisiert fühlen sich die Eheleute Schäfer nicht unbedingt. Wohl aber beäugt. "Natürlich bemerkt man die Blicke, wenn man mit einer halben Kompanie zur Türe reinkommt", erzählt die Mutter. Missen möchten die Schäfers ihr liebenswertes Chaos nicht. "Nicht eine Sekunde", sagt Stefan Schäfer. Selbst wenn die Tage lang und die Nächte kurz sind.

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