Eine seltsame Freundschaft

8.7.2019, 18:08 Uhr
Eine seltsame Freundschaft

© Foto: privat

Es war das 1969 erschienene Buch "Erinnerungen" des Kriegsverbrechers Albert Speer, das den in die USA emigrierten Juden Josef Schwab zutiefst empörte. Der gebürtige Nürnberger war von den Nazis gefoltert und aus seiner Heimatstadt vertrieben worden, Familien-Angehörige wurden Opfer des Rassenwahns.

Und da rechtfertigte sich also der Nazi-Stararchitekt, einstige Rüstungsminister und Kriegsverbrecher mit beschönigend zurechtgedrechselten Worten? Das war zu viel für Josef Schwab. Er schrieb einen geharnischten Brief an den deutschen Verlag, der die "Erinnerungen" herausgebracht hatte.

Und er erhielt zu seiner großen Überraschung eine Antwort – von Albert Speer. Damit hatte er nicht gerechnet. Es entwickelte sich eine rege Korrespondenz, die erst mit Schwabs Tod im Mai 1972 abriss.

In den Briefen spiegelt sich ein Wechselbad der Gefühle (Schwab nennt dies "kalt und warm"). Zum einen konfrontiert der jüdische Kaufmann Speer knallhart mit der Frage nach seiner Verantwortung für den Holocaust. Er löchert ihn mit Fragen nach seiner Zuständigkeit für den Bau der Gaskammern in den Konzentrationslagern.

Zum anderen nennt er den einstigen Spitzen-Nazi, der bei den Nürnberger Prozessen nur knapp der Verurteilung zum Tod entkommen ist, seinen Freund. Er lud Speer mehrfach ein, ihn in den USA zu besuchen – und umgekehrt.

Gesehen haben sich die beiden aber nie: Der Kontakt blieb ausschließlich in schriftlicher Form. Es war eine merkwürdige Freundschaft, die sich im Lauf von zweieinhalb Jahren tastend entwickelte.

"Schwab trug keine Samthandschuhe. Er sagte direkt, was er dachte und versuchte, Speer aus der Reserve zu locken", sagt Buchautorin Christine Geyer. Für den deutschen Briefpartner war dies eine ständige Herausforderung. Er war bemüht, tiefe Reue über die unfassbaren, monströsen Verbrechen der Nationalsozialisten glaubhaft zu machen.

Eine seltsame Freundschaft

© Foto: Hartmut Voigt

Bei Schwab gelang ihm dies weitgehend – wie bei unzähligen anderen Lesern seiner Bücher auch: Nach 20 Jahren Haft gab er sich geläutert. Erst in jüngerer Zeit haben Historiker herausgearbeitet, wie intensiv der kühle Machtmensch Speer in das brutale nationalsozialistische Unrechtsregime und seine schrecklichen Untaten verstrickt war.

Speers Lebenslügen

"Albert Speer hat auch in der intensiven Korrespondenz mit Josef Schwab seine Lebenslügen aufrechterhalten. Er log und verschwieg, schönte und lenkte ab", erklärt Christine Geyer. Die Autorin merkt an, dass der berühmte Nationalsozialist oft betont hat, wie "bewegt bestürzt und erschüttert" er über das Schicksal der Juden in Nazi-Deutschland gewesen ist: "Aber dies war nur ein Demuts-Vokabular jener Zeit."

Sie glaubt, dass Schwab trotz aller Freundschaftsbekundungen ahnte, dass der verurteilte Kriegsverbrecher mehr verbarg, als er preisgab. In einem Brief bestätigt er dem "Freund Hitlers", dass er ihn für ehrlich halte – viele andere täten dies jedoch nicht, fügt er in dem Schreiben an und signalisiert damit einen gewissen Vorbehalt.

Es ist das große Verdienst der Wiesbadener Autorin, diesen einzigartigen Briefwechsel im Bundesarchiv Koblenz aufgespürt zu haben. In der gesamten Korrespondenz Albert Speers ragen die Briefe an und von Josef Schwab heraus: Keinem anderen Gesprächspartner habe der "Gentleman-Nazi", wie er wegen seiner geschliffenen Manieren tituliert wurde, so ausführlich geantwortet.

Geyer hat Schwabs Nachfahren in den USA ausfindig gemacht. Sie sprach mit Speers Tochter, die ihr geraten hat, in den Briefen ihres Vaters zwischen den Zeilen zu lesen. Der reservierte Mann ließ nicht leicht hinter seine Fassade schauen.

Weiter hat die Autorin in Nürnbergs Stadt- und im Staatsarchiv nach Spuren der jüdischen Familie Schwab/Gallinger recherchiert. Zu den Kunden von Josef Schwabs Lederhandel gehörte der bekannte Harmonika-Hersteller Hohner. Auch in den Vatikan lieferte der Nürnberger Kaufmann edles Leder für Bucheinbände. Geyer beschrieb das Leben in jüdischen Gesellschaftsvereinen, das zunehmend stärker von den Nazis überwacht wurde, sehr plastisch.

Nie zurückgekehrt

Eine seltsame Freundschaft

© Foto: Stadtarchiv Nürnberg

Die 46-Jährige hat Fotos von Schwabs Wohnhaus in der Burgstraße 8 ausfindig gemacht – gegenüber vom heutigen Stadtmuseum Fembohaus. Das Anwesen wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Josef Schwab kehrte nie mehr nach Deutschland zurück. "Er hätte das emotional nicht verkraftet", vermutet Geyer.

"Mein Vater betrachtete sich immer als treuer Deutscher. Er hatte im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz verliehen bekommen ", sagt Sohn Theodore Schwab, "wie hätte man darauf vorbereitet sein können, dass sich ein Land gegen seine eigenen treuen Bürger wendet?"

Das Buch zitiert im Titel einen Satz aus dem Briefwechsel "Es wäre zum Lachen, wenn’s nicht zum Weinen wäre". Es ist ein spannendes, ergreifendes, ungewöhnliches Werk. Ein kleiner Mosaikstein zur Geschichte der Nürnberger Juden im 20. Jahrhundert. Eine fleißige, kompetente und hochinteressante Recherche.

Das Buch ist ausnahmsweise nicht von einem Historiker oder Politikwissenschaftler geschrieben: Geyer arbeitet als Sekretärin in einer Anwaltskanzlei und hat sich drei Jahre intensiv mit dem Projekt befasst. Ihr ausgeprägtes Interesse an Geschichte war der Motor für diese Arbeit. Drei Jahresurlaube hat die Autorin in die Recherche investiert – das hat sich wirklich gelohnt.

Info"Es wäre zum Lachen, wenn’s nicht zum Weinen wäre. Der Nürnberger Jude Josef Schwab und seine Korrespondenz mit Albert Speer" ist im Verlag Tredition erschienen. Das Buch kostet 19,95 Euro und hat die ISBN 978-3-7482-3219-3.

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