Einsame Wache im «Geisterhaus»

24.9.2008, 00:00 Uhr
Einsame Wache im «Geisterhaus»

© Bauer/Rödel

Mit einem Schlag fällt ein Apfel herunter. Dann herrscht wieder Stille, lediglich einige Vögel zwitschern. Ihnen gehören in diesem Sommer die Früchte der schwer behangenen Bäume, die Ernte fällt heuer aus. Stück für Stück erobert sich die Natur allmählich den Garten auf dem 500 Quadratmeter großen Grundstück zurück. An dem Drahtgeflecht der hohen Zäune, die zusätzlich mit Stacheldraht gesichert sind, hängen noch vereinzelt zu Stein erstarrte Madonnen und erinnern an die verstorbenen Besitzer des rundum vergitterten Gebäudes, das in Nürnberg als Geisterhaus bekannt ist.

Zwischen wucherndem Efeu ragen verwaiste, gusseiserne Kerzenständer in die Luft. Die weißen Kerzen sind allesamt verschwunden. Ebenso die unzähligen Kreuze, die das Grundstück zierten, sowie die mannshohen Steinskulpturen und die Marien-Abbildungen, mit denen das Gelände förmlich zugepflastert war. Der zugewachsene Garten erfreute sich ehemals einer gepflegten Erscheinung, «es war alles recht nett angelegt», erinnert sich der Heroldsberger Immobilienmakler Fritz Otzmann, der das Anwesen seit Mai zum Verkauf anbietet.

Die mit einem schweren Riegel gesicherte Haustür schwingt auf. Im Inneren riecht es muffig. Sieben Zimmer drängen sich im Erdgeschoss. Nur wenig Licht gelangt durch die Gitter der kleinen Fenster, das Mobiliar fehlt größtenteils. Doch beim Rundgang durch die Räume stößt man immer wieder auf letzte Zeugnisse des Ehepaares Rupp: In der Abstellkammer stehen Gläser selbst eingemachter Marmelade in Reih und Glied, aus einem Schrank lugen Schuhe hervor, in der Küche stapeln sich Teller und Tassen in der Spüle, im Wohnzimmer liegt eine Schallplatte auf dem Sofa: die großen Erfolge von Chris Roberts. Eine steile Treppe führt nach oben.

Vier Brandanschläge

Letzte Kruzifixe und Stofftiere sind genauso präsent wie Spiegel, die in den Ecken, an Türen und Wänden befestigt sind - sogar auf Bodenhöhe in der winzigen Toilette. Im schmalen Raum dahinter befindet sich eine Badewanne mit gerade mal 50 Zentimeter Platz zum Einsteigen.

Wo früher jede Menge Ikonen an den Wänden und zahlreiche Teller unter der Decke hingen, sind lediglich nackte Flächen mit nutzlosen Ketten und Haken übrig geblieben. «Vor ein paar Monaten hat man von der Tapete kaum noch etwas gesehen, alles hing voll - auch dicht über den Köpfen der Leute», erinnert sich Fritz Otzmann.

Im Keller glänzt eine Ölheizung von 2005. Die letzten Jahre hat Ilse Rupp hier alleine gelebt. Ihr Mann starb fast 90-jährig, sie folgte ihm im Alter von 77 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit im vergangenen März. Die kinderlosen Rupps vererbten das Anwesen einem befreundeten Ehepaar aus Nürnberg, das namentlich nicht genannt werden möchte. Die Erben beschreiben Ilse und Alois Rupp als «fröhliche Menschen» und berichten von vielen Anfeindungen, denen sie ausgesetzt waren. Denn ihr ungewöhnliches Heim zog immer wieder Schaulustige an. Die falschen Gerüchte um schwarze Messen und Teufelskult hielten sich hartnäckig. Vier Mal seien gar Brandanschläge auf das Haus verübt worden.

Elf Zimmer plus Abstellräume verteilen sich auf rund 130 Quadratmeter Wohnfläche. Ihnen ist gemein, dass sie allesamt dunkel und klein sind. Ein Umbau sei vonnöten, bestätigt Michael Richter vom Bauunternehmen Draft. Dafür müsse man schon ab 90 000 Euro aufwärts investieren, schätzt er. «Neue Fenster, mehr Licht, große Räume - da will ja sonst kein Mensch drin leben.»

Der größte Pluspunkt sei die Lage in der Nähe des Rings, in Sichtweite des Business Towers, weiß der Makler aus Heroldsberg. Er veranschlagt den Wert des Anwesens mit 165 000 Euro. Anfangs war Otzmann von 193 000 Euro ausgegangen. Mit dem aktuellen Preis wolle er eine breitere Käuferschicht erreichen.

Bislang haben sich knapp 80 Interessenten gemeldet - «vornehmlich junge Leute aus dem Nürnberger Raum, darunter auch einige Neugierige», mutmaßt er. Ein Hindernis sei der Ruf des Anwesens, «doch seitdem die Kreuze fort sind, normalisiert sich das alles allmählich». Otzmann möchte das Gebäude, das im Jahr 1952 erbaut und von den Rupps bezogen wurde, wieder in die Nachbarschaft eingliedern. Der 55-Jährige betont: «Auch solche Häuser haben ihre Liebhaber.» Er bedauert, dass er das Haus ohne Inventar feilbieten muss. Andernfalls wäre es leichter gewesen, einen Käufer zu finden.

Die Versteigerung ging bereits Anfang Mai über die Bühne. Vom Ölgemälde «Madonna mit Kind» aus dem 19. Jahrhundert für 600 Euro bis zur Vase für 5 Euro: Bei der Auktion des Inventars kamen rund 1000 Artikel unterm Hammer - darunter allein 150 Ikonen, die pro Stück zwischen 100 und 500 Euro einbrachten. Der Gesamterlös? Rund 20 000 Euro, lediglich zwei Prozent des Nachlasses blieben zurück. Neugierige ließen sich auch nicht von den zehn Euro Eintritt abschrecken, die unüblicherweise das Nürnberger Auktionshaus Weidler erhoben hatte, um Schaulustige fernzuhalten. Ohne Erfolg.

Fast 300 Menschen aus ganz Deutschland strömten ins Geisterhaus, um einen Blick auf das sagenumwobene Gemäuer zu werfen oder Raritäten zu ersteigern. Auch so mancher Nachbar ergatterte ein Andenken. Juniorchefin Kathrin Weidler schwärmt: «So viele schöne Kunstobjekte aus aller Welt - auf kleinem Raum. Man spürt, dass die Eigentümer sie mit Liebe gesammelt und sortiert haben.»

Mit Hasen nach Asien

Kathrin Weidler weiß zu berichten, dass die Eheleute in den 50er bis 70er Jahren monatelang mit einem VW-Bus in Afrika und Asien unterwegs war. In der Zeit ihrer Abwesenheit wohnte niemand auf dem Anwesen, dewegen wohl auch die festungsartige Erscheinung. Ihre Haustiere begleiteten sie. Die beiden weiß-braun-gefleckten Hasen befinden sich bis heute in dem leer stehenden Gebäude: Nach ihrem Tod ließen die alten Herrschaften ihre Lieblinge ausstopfen. Die Präparate gehörten zu den wenigen Dingen, die von der Auktion ausgeschlossen waren. Und so stehen die felligen Genossen bis heute nebeneinander auf dem Boden eines Zimmers im Erdgeschoss und wachen über ihr verlassenes Heim.