Einschlafen mit Freud

27.7.2019, 08:00 Uhr
Der magische Moment des Tages...

© colourbox.de Der magische Moment des Tages...

Vielleicht lächelt es sogar ein wenig. Und bevor nur noch ein gleichmäßiger Atem zu hören ist, sagt das Kind mit dem letzten Rest an Energie einen jener Sätze, bei denen es dir die Katz’ vom Dach haut. Irgendwas aus einer anderen Galaxie. Zum Beispiel:

Papa, du verläufst dich manchmal auf dem richtigen Weg.

Oder: Wolken sind eigentlich ein Puzzle für Vögel. Sie wollen es aber nie fertig machen.

Und auch: Wenn du mal stirbst, bin ich traurig. Wenn aber alle Menschen gleichzeitig sterben, ist es mir egal.

Wenige Stunden später liege ich im Bett und denke nach. Was soll mir das alles sagen? Wissen diese kleinen Gehirne etwas, das ich nicht verstehe? Über diesen Gedanken werde ich allmählich müde – und da sitzt er plötzlich neben mir auf der Bettkante. Halbglatze, gepflegter weißer Bart, ernster Blick. Der Geruch seiner Zigarre umnebelt mich. "Du bist Freud?!", stammel’ ich. "Ich bin er-freut", korrigiert der Herr sachlich. Dann streicht er mir über die Stirn. "Alles ist gut!", sagt er. "Solange die Vögel ihr Rätsel nicht lösen, bist du auch ohne Orientierung auf dem wahren Pfad. Denn das ist das Leben. Und letzten Endes lebt jeder ein wenig für sich allein."

Ich will etwas erwidern, doch eine weitere weiße Wolke aus der Freud’schen Zigarre lähmt meine Stimme. "Eine jede Seele ist gut beraten, wenn sie das Schäufele vor dem Braten verlässt" – das hätte ich sagen wollen. Aber das Einzige, was Sigmund noch von mir hört, ist ein gleichmäßiger Atem.

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