Erlenstegen: Nobelviertel mit Villen und Bausünden

30.9.2019, 11:59 Uhr
Altehrwürdige Bäume beschirmen die Besucher des etwa zehn Hektar großen Platnersbergs. Schlendern, auf Bänken entspannen oder das Bärenbrünnlein besuchen: Hier herrscht erholsame Ruhe.

© Roland Fengler Altehrwürdige Bäume beschirmen die Besucher des etwa zehn Hektar großen Platnersbergs. Schlendern, auf Bänken entspannen oder das Bärenbrünnlein besuchen: Hier herrscht erholsame Ruhe.

„Ahh– Erlenstegen . . !“ Eine häufige Reaktion auf die Angabe des Wohnorts, gern flankiert von hochgezogenen Augenbrauen und einem rasch hinab und hinauf gleitenden Blick: Klamottencheck. Derart visuell abgetastet möchte man einiges erzählen über das sogenannte Nobelviertel, das seit dem 1. Januar 1899 ein Stadtteil von Nürnberg ist. Denn einfach nur nobel? Fehlanzeige. Ja, es gibt die Prada, Gucci oder Armani Tragenden – doch auch viele Fans des Understatements.

Häufig sind sie mit Hund unterwegs. Führen Fahrräder aus, joggen oder walken. Etwa am Steinplattenweg entlang, wo wochentags SUVs vor der Waldorfschule Schlange stehen, um den Nachwuchs zum Unterricht zu shutteln. Danach geht man gleich beim Bio-Bauern einkaufen. Derartige Widersprüche und Kontraste – sei es in der Lebensart oder bei der Architektur – fallen in Erlenstegen häufig auf. So spöttelt manch einer zwar gern über das „Reichen-Viertel“, geht es aber darum, eine Wohnung zu vermieten, sind Erlenstegens Grenzen ganz erstaunlich dehnbar.

Generell ist es hier, östlich vom Zentrum, grüner und ruhiger als anderswo in der Noris. Entspannung findet man nicht nur beim ausgedehnten Spaziergang im nahen Pegnitzgrund. Uralter Baumbestand ist in manchen Straßenzügen, in den Gärten altehrwürdiger Häuser und insbesondere am Platnersberg zu bewundern; einer Grünanlage, die zum Steinplattenweg hin Einblicke in die parkähnlichen Gärten samt dazugehörigen Villen erlaubt. An deren Eingängen gibt es selbstverständlich keine Namensschilder. Dafür hohe Mauern.

Immobilien-Agenturen neben Getränkemärkten

Mehr Villen-Sightseeing? Bietet sich in den nach Dichtern, Denkern und Musikern benannten Straßen genauso an wie in den Gefilden rund ums lauschige, vom Wald umgebene Naturgartenbad und entlang der Günthersbühler Straße. Nicht ratsam ist es jedoch, zu lange und zu genau hinzusehen. Folgt Ihnen plötzlich jemand oder fragt Sie womöglich, was Sie hier tun, vermutet er höchstwahrscheinlich, dass Sie sich als Einbrecher von morgen gerade einen Überblick verschaffen.

Apotheker, Ärzte, Bankiers, Architekten, Juristen, erfolgreiche Jazz-Musiker, ehemalige Bundespolitiker, Unternehmer oder erfolgreiche Fußballer – sie genießen die Ruhe des Viertels ebenso wie die Senioren in den verschiedenen Heimen. Wo immer man aber schlendert, staunt oder feststellt, dass hier neben Immobilien-Agenturen und Geschäften etwa für Konzertflügel oder edle Lampen-Kreationen auch so Basisbezogenes wie ein Getränkemarkt oder Discounter zu finden ist: Niemals sollte man bei den ach so scheuen Bewohnern des Stadtteils erwarten, dass sie von sich aus grüßen.

In Erlenstegen lässt man einander sein. Ein fröhlich geschmettertes „Grüß Gott!“ erschreckt manchen mehr als grauenvolle Bausünden, die sich als bungalowartige Klötze samt zubetonierten Entrées zunehmend zwischen hinreißende alte Villen mit insekten- und vogelfreundlich gestalteten Gärten quetschen.

Zum Spazierengehen lockt der Erlenstegener Wald

Gegensätze ziehen sich an? Da gäbe es den einst noblen Reitstall Tattersall – nebenan leben sich Kleingärtner aus. Oder das „Schießhaus“ samt Speiselokal und der „Privilegierten Hauptschützengesellschaft“ im Erlenstegener Wald – nebenan, wunderbar pittoresk, eine Minigolf-Anlage. Tierfreunde führen Hunde aus dem Tierheim Gassi, andere finden ihre Seelenbalance ein paar Straßen weiter in der Schönheitsklinik, die durch Tatjana Gsell vor Jahren in die Schlagzeilen geriet.

Nicht weit davon: Reihenhäuser. Familienfreundlich und bis in die frühen 80er Jahre mit ausgedehnten Freiflächen für Kinder – darunter ehemalige Felder des nahen Bauernhofs. Die Kühe, die damals im Spitalhof Milch gaben, haben längst ausgemuht. Heute beherbergt das denkmalgeschützte Gebäude eine Kita und den Bürgerverein Jobst-Erlenstegen.

Ob Sie aber durch Wald, Flur oder Straßenzüge streifen – verpassen sie keinesfalls das Café „Glückswinkel“: Der Name ist Programm. Ein Blick auf das Fachwerkhäuschen, stets liebevoll dekoriert und in den Schatten des Naturgartenbades geduckt, erinnert an Lieblingsbilderbücher. Auf der Terrasse genießt man ungezwungen Erlenstegen-Feeling pur und wie im gemütlich-rustikalen Café-Inneren Kuchen- und Konditor-Kreationen, die in jeder Lebenslage ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.

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