Erste-Hilfe-Kurse an Schulen: Kommunen sind überfordert

11.10.2019, 05:27 Uhr
Hilfe in Notfällen: Nach einer aktuellen Bekanntmachung des Kultusministeriums soll jeder Schüler in seiner Schullaufbahn mehrfach Erste-Hilfe-Kurse absolvieren. (Symbolbild)

© Stefan Hippel Hilfe in Notfällen: Nach einer aktuellen Bekanntmachung des Kultusministeriums soll jeder Schüler in seiner Schullaufbahn mehrfach Erste-Hilfe-Kurse absolvieren. (Symbolbild)

Eigentlich ist es eine gute Idee: Schon von Kindesbeinen an sollen Schüler in regelmäßigen Abständen an Erste Hilfe herangeführt werden. Die Kultusministerkonferenz in Deutschland hat zwar im Jahre 2014 die Einführung solcher Unterrichtseinheiten befürwortet, doch lange Zeit ist in dieser Hinsicht nichts passiert – dabei ist hierzulande einiges aufzuholen.

Denn laut Statistik bleiben in mehr als 60 Prozent der Fälle, in denen jemand plötzlich einen Herzstillstand erleidet, sofortige Wiederbelebungsmaßnahmen aus, obwohl umstehende Menschen das mitbekommen. Gerufene Rettungsdienste und Notärzte sind oft die Ersten, die Hand anlegen. Doch die benötigen in der Stadt acht bis zehn Minuten, bis sie am Einsatzort sind. Das kann im Ernstfall schon zu spät sein. "Wenn in den ersten zehn Minuten nach einem Herzstillstand nichts passiert, erleidet das Gehirn wegen Sauerstoffmangels Schaden", sagt der Notarzt und Anästhesist Dr. Christian Engelen auf Anfrage.

Die richtige Reaktion, um Schaden abzuwenden, ist: "Prüfen, Rufen, Drücken". Prüfen, ob der Patient noch atmet, den Rettungsdienst unter der Telefonnummer 112 rufen und sofort mit der Herzdruckmassage beginnen. "Viele haben Angst, da etwas kaputtzumachen", sagt Engelen. "Man kann da aber
nichts kaputtmachen. Und wenn eine Rippe brechen sollte, ist das nicht schlimm. Die heilt wieder."


Erste-Hilfe-Videos: Wie man im Ernstfall richtig handelt


Dänemark gilt als Vorbild. Seit 2005 ist dort die Erste-Hilfe-Ausbildung für jeden Schüler verpflichtend. In mehr als 70 Prozent der Fälle, wenn das Herz stehenbleibt, reagieren umstehende Menschen sofort und beginnen mit der Herzdruckmassage. Experten führen den guten statistischen Wert auf die Pflicht-Kurse innerhalb der Schulen zurück.

In Bayern gibt es zwar seit Jahren auch Schulsanitätsdienste. Doch nur ein kleiner Teil von Schülern macht da mit, die Teams, die im Notfall an der Schule sofort eingreifen können, sind zahlenmäßig begrenzt. Mit der aktuellen Bekanntmachung aus dem Kultusministerium ist aber klar: Jeder Schüler und jede Schülerin muss ab sofort im Sinne "der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung" Kurse, die von der Grundschule ab angeboten werden, besuchen. "Aus diesem Grund wurden die verbindlich und zusätzlich zu den jeweiligen Fachlehrplänen umzusetzenden Richtlinien des Staatsministeriums überarbeitet", heißt es im Schreiben aus München an die bayerischen Schulen. Und weiter: "Durch regelmäßige Wiederholung spezieller Module zum Thema Wiederbelebung sollen die notwendige Sicherheit und das Zutrauen gewonnen werden, um geeignete Maßnahmen im Notfall auch ergreifen zu können."

Die Idee sei gut, so Schulbürgermeister Klemens Gsell (CSU). Kritik übt er allerdings an der fehlenden Vorarbeit. "Das Schreiben kenne ich. Mit uns hat vorher aber niemand gesprochen", sagt er auf Anfrage. Doch sollen die bayerischen Kommunen als Sachaufwandsträger einen Teil der Kosten tragen. "Wir brauchen in jeder Schule sogenannte Übungsphantome, also Puppen, an denen man üben kann." In der Praxis soll das so aussehen, dass Lehrer bei Ärzten und Rettungssanitätern Erste-Hilfe-Kurse absolvieren und damit einen gültigen Lehrschein erhalten, der alle drei Jahre aufgefrischt werden soll. Die Erste-Hilfe-Lehrer geben dann ihre praktischen Kenntnisse in bestimmten Unterrichtseinheiten an ihre Schüler weiter.

Bürgermeister Gsell bezweifelt aber, dass die Hilfsorganisationen wie das Bayerische Rote Kreuz (BRK) und die Johanniter genügend Kapazitäten haben, um so viele Lehrer in so kurzer Zeit ausbilden zu können. "Auch beim BRK wusste man vor dem Schreiben nichts von dieser Absicht", sagt Gsell, der auch im Vorstand des BRK-Kreisverbandes Nürnberg sitzt. Es gebe hier noch viele offene Fragen. Etwa die, wer die Gebühren bezahlen soll, die für die Kurse anfallen. In dem Schreiben des Ministeriums heißt es außerdem: "Die Teilnahmebescheinigung entspricht dem in §19 der Fahrerlaubnis-Verordnung bei der Antragsstellung auf Erteilung der Fahrerlaubnis geforderten Nachweis über die Teilnahme einer Schulung in Erster Hilfe." Für Gsell stellt sich da die Frage, ob damit dann die Kurse bei den Hilfsorganisationen, die Fahrschüler derzeit noch absolvieren müssen, komplett entfallen.

"Hier ist sehr vom Schreibtisch her gearbeitet worden", sagt der Bürgermeister. Der Blick auf die Umsetzung fehle komplett, er könne keine Strukturen erkennen. Über den Städtetag habe er erfahren, dass die Bekanntmachung aus München auch andere Kommunen ratlos zurücklässt.

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