"Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Orientierung"

20.2.2018, 12:46 Uhr

Herr Vollbrecht, warum sollen Menschen lieber ins Nachtcafé kommen als ins Kino zu gehen?

Peter Vollbrecht: Im Kino werden sie sicher auch gut bedient, aber sie sind vorwiegend rezeptiv tätig. Wohingegen sie im Nachtcafé lebendige Kommunikation erleben, die Lust am Gespräch in Gemeinschaft erfahren. Wo kann man das noch?

Was interessiert ihr Publikum an Philosophie?

Vollbrecht: In den letzten 20 Jahren hat sich ein reges Interesse entwickelt, es gibt inzwischen sogar Philosophie-Festivals, wie zum Beispiel die phil.cologne oder das Philosophicum Lech. Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Sinn und Orientierung, das nicht auf der Hauptstraße Religion oder Esoterik daherkommt. Dabei gibt die Philosophie nicht direkt Antwort. Sie ist eher eine Reise in Landschaften, in der ähnliche Fragen erörtert werden und man über verschiedene Antworten nachdenkt.

Sie haben sich schon als junger Erwachsener für Philosophie interessiert, haben das Fach studiert und darin auch promoviert. Seit 30 Jahren sind sie freiberuflich Philosoph. Was haben Sie selbst fürs Leben gelernt?

Vollbrecht: Mein Horizont hat sich verändert. Auch im Fach selbst: Von speziellen Fragen bin ich zum breiten Feld gekommen, mir geht es primär um ethische Themen, um religiöse und gelegentlich naturwissenschaftliche Fragen. Philosophie ist so einzigartig, weil sie sich weit über Zeiten und Kulturen entwickelt hat. Man diskutiert mit Menschen, die schon lange tot sind – mit großen Denkern wie Aristoteles oder Kant. Man kann sich anderen Kulturen nähern, wie den buddhistisch-hinduistischen. Diese Landschaften kennenzulernen und zu durchschreiten, empfinde ich selbst als sehr tiefes Glücksgefühl.

In der diesjährigen Nachtcafé-Reihe beschäftigen Sie sich mit den Ansätzen der Philosophen Odo Marquard, Charles Taylor und Harry B. Frankfurt, der vor "Bullshit" in der öffentlichen Diskussion warnt. Ist das nicht sehr speziell?

Vollbrecht: Über die Jahre habe ich inzwischen viel "Stammkundschaft". Viele Themen stammen auch von Teilnehmern, andere Themen wähle ich selbst – weil ich gern mehr darüber wissen würde. Für mich ist es eine besondere Herausforderung, Philosophie erzählerisch zu vermitteln. Ich meide Fachjargon und pflege stattdessen die Metapher oder versuche, ein Bild zu prägen. Menschen die Philosophie näherzubringen, das hat auch einen Lustfaktor.

Wie muss man sich den Abend im Philosophischen Nachtcafé vorstellen?

Vollbrecht: Die Abende beginnen mit einer halben Stunde Vortrag zum Thema, darauf folgen etwa 45 Minuten Diskussion. Primär wird zu mir gesprochen, aber ich verstehe mich in erster Linie als Moderator, der den Überblick behält und für Kontinuität sorgt. Deshalb gebe ich Fragen auch ans Publikum weiter oder greife Gedanken wieder auf, die vielleicht schon vor einigen Minuten geäußert wurden, aber verhallt sind. Außerdem erhalten die Teilnehmer ein Skript von sechs bis zehn Seiten mit Gedanken zum Thema.

Welche Rolle spielt das aktuelle Weltgeschehen?

Vollbrecht: Mit tagesaktuellen Themen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht – die werden von Talk-Shows aufgearbeitet. Aber in der Philosophie kann ein noch so altes Thema behandelt werden, es hat nur dann Relevanz, wenn es ein Echo in der Gegenwart findet. Die Aufklärung zum Beispiel. Wir staunen heute, wie groß der Fortschrittsoptimismus damals war. Teilen wir diesen noch? Was ist überhaupt passiert in der Zwischenzeit? Wenn man darüber spricht, versteht man die eigene Skepsis viel besser.

Oder Wahrheit . . .

Vollbrecht: Die Frage ist, warum nehmen wir das Wort "Wahrheit" heute nicht mehr ernst. Ich bin überrascht, wie stark die Teilnehmer der Nachtcafés darauf drängen, dass es mehrere Antworten gibt. Es fällt immer wieder der Satz "Wahrheit ist subjektiv" – da muss der Philosoph protestieren.

Aber wollen die Menschen denn heute überhaupt noch logisch denken?

Vollbrecht: Das ist ein Vorurteil, dass Philosophie für den Kopf ist. Dabei wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Ich liebe es, Autoren zu lesen, die wie Kant ganz klar argumentieren. Aber was uns Menschen überzeugt, ist das Echo, das ein Argument in der eigenen Seele erzeugt. Da spielen Gefühle mit, Grundüberzeugungen, Irrationales. Die Philosophie ist in den letzten 200 Jahren offener gegenüber Gefühlen und Leiblichkeit geworden.

Was halten Sie als Philosoph dann von Trump und der Bundesregierung in spe, die verrückter denn je agieren?

Vollbrecht: Die Philosophie, die ich betreibe, wirbt um jeden einzelnen Teilnehmer. Dabei ist es unerlässlich, immer auch politisch zu argumentieren. Aber ich muss aufpassen, dass die Büchse der Pandora nicht geöffnet wird. Sonst schimpfen alle auf die Politiker – Stichwort "Die taugen alle nichts" – und verfallen in ein Freund-Feind-Denken. Das ist ein unfaires Urteil, finde ich, denn wer von uns kennt das politische Geschäft? Philosophisches Denken und Politik sind zwei Welten. Die Politik ist pragmatischer und sucht kleine Lösungen, während die Philosophie die großen Fragen des Menschseins bewegt. Ich finde es gut, wenn sich Philosophie auch korrigieren lässt von der Wirklichkeit.

Sie bieten das Philosophische Nachtcafé nicht nur in Nürnberg an, sondern auch in Ihrer Heimatstadt Esslingen und in Mannheim. Philosophieren die Franken anders?

Vollbrecht: Vom Alter her oder von den beruflichen Hintergründen sehe ich keinen großen Unterschied. Es sind Menschen im Publikum, die haben nicht unbedingt studiert, sind aber kulturell interessiert. Manche wollen mitreden, andere finden es spannend, einem authentischen Gespräch zuzuhören.

Worauf dürfen sie sich freuen?

Vollbrecht: Die Reihe beginnt mit Odo Marquard, der leider zu wenig bekannt ist. Ein skeptischer Denker, der pointiert und witzig über große Themen schreibt: Gibt es die Freiheit, die Wahrheit, den Menschen? Vielleicht erwarten wir alle zu viel vom Leben? Es folgt am 19. März Harry G. Frankfurt, der sich schon vor 20 Jahren den "Bullshit" vorgenommen hat. Er kannte weder Trump noch "alternative Fakten" oder Fake-News und hat dennoch gewarnt, dass dieser Unsinn nicht nur Quatsch ist, sondern die Kommunikationsfähigkeit unserer Demokratie untergräbt. Im April dann beschäftigen wir uns mit Charles Taylor, der als Katholik die Frage nach unseren Grundüberzeugungen stellt. Braucht die Moral Religion – oder können wir sie rein aus der Vernunft herleiten? Das ist spannend, auch weil unsere Fähigkeit zum Mitgefühl offensichtlich einen biologischen Unterbau hat.

ZPhilosophisches Nachtcafé mit Peter Vollbrecht, nächster Termin am Montag 26. Februar, 19 Uhr, im Literaturhaus. Thema: Odo Marquard und der Abschied vom Prinzipiellen. Eintritt 12 Euro, ermäßigt 5 Euro, Schüler frei.

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