Fall 10: Wenn die Kinder mitbüßen

20.11.2019, 09:30 Uhr
Fall 10: Wenn die Kinder mitbüßen

© Foto: Angelika Warmuth, dpa

Leidtragende sind allemal und in erster Linie ihre drei Kinder. Dass sie irritiert, verunsichert, verstört, vielleicht auch erschüttert sind, liegt auf der Hand. Womöglich drohen aber noch weiter gehende, handfeste materielle und existenzielle Folgen. Wie in einem brandaktuellen Fall aus unserer Region, der hier zum Schutz der Betroffenen nur mit einigen Verfremdungen skizziert werden kann.

Dass es so weit kam, hatte natürlich eine Vorgeschichte: Gerlinde T. (Name geändert) war – da gibt es nichts zu beschönigen – schon diverse Male mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und zu Geldstrafen verurteilt worden. Doch gelang es ihr nicht, diese zu begleichen, ihr fehlten nicht nur die Mittel und die Kraft, sondern wohl auch der nötige Wille – und die Einsicht, welche Risiken das auch für ihre Kinder mit sich bringt. So kam eins zum andern, am Ende sah ein Richter offenbar keinen anderen Weg, als die Frau für ein paar Monate hinter Gitter zu schicken – als Ersatz für nicht bezahlte Geldbußen.

Die Familie könnte ihre Wohnung verlieren

Zum Glück sind die Verfahren, die dann greifen, gut eingespielt: Für die Kinder wird ein Amtsvormund bestellt, der alle nötigen Entscheidungen treffen kann. Zwei Kinder, die schon etwas älter sind, können sich zumindest im Alltag ganz gut selbst versorgen und um die Wohnung kümmern, zumal Großeltern einspringen können. Bei denen findet auch das Nesthäkchen Aufnahme.

Die größte Gefahr kommt aktuell von anderer Seite. Denn die Familie ist auf Leistungen vom Jobcenter angewiesen. Das gilt auch für die Mietzahlungen. Und wenn ein Mitglied der sogenannten Bedarfsgemeinschaft durch Abwesenheit ausfällt, kann es schnell eng werden. Schon bei einem längeren Reha-Aufenthalt oder wenn ein Kind wegen der Ausbildung aus- und umzieht.

Erst recht aber, wenn plötzlich die Hauptperson, also die Mutter, buchstäblich aus dem Verkehr gezogen wird. Denn nach der Logik der Jobcenter gilt: Während die Frau in Haft sitzt, ist sie untergebracht und versorgt – also werden die auf sie entfallenden Anteile der Mietkosten gestrichen. Die Kinder aber können aus den verbleibenden, ihnen zustehenden Jobcenter-Zahlungen die Miete nicht aufbringen. Rückstände wären unvermeidlich – damit droht in kürzester Zeit die Kündigung und der Wohnungsverlust.

Die Kinder müssten in Heime

Angesichts des akuten Mangels wäre das fatal: Die Mutter würde aus der Haft in die Obdachlosigkeit entlassen. Und für die Jugendlichen bliebe am Ende womöglich nur die Aufnahme in Heimen. Für den Steuerzahler wäre das freilich die teuerste Lösung. Damit es nicht so weit kommt, gibt es auch für die Jobcenter Vorgaben, zumindest für einige Monate die Überschreitung der Richtwerte zu dulden, um die Wohnung zu sichern. Tun sie das nicht, sollten die Betroffenen auf jeden Fall Widerspruch einlegen. Für die Kinder müsste das der Amtsvormund übernehmen – wenn er denn Zeit und Nerven dafür aufbringt.

Dass ähnliche Probleme immer wieder auftauchen, bestätigen der Weihnachtsaktion auch Beraterinnen des Vereins Treffpunkt, der systematisch Angehörige von Inhaftierten betreut. Auf Bitten des zuständigen Sozialdienstes sieht sich die Weihnachtsaktion in diesem Fall gefordert, wenigstens den Kindern, wo nötig, unter die Arme zu greifen.

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