Fall 9: Offener Umgang soll Mut machen

19.11.2019, 14:45 Uhr
Wahrlich kein Schoßhund, aber ein treuer Begleiter: "Bomber" lässt sich von Raimund S. natürlich gerne verwöhnen.

© Foto: Roland Fengler Wahrlich kein Schoßhund, aber ein treuer Begleiter: "Bomber" lässt sich von Raimund S. natürlich gerne verwöhnen.

"Er ist halt mein Kind", sagt Raimund S. über den kleinen Yorkshire-Terrier, der ihn in dunklen Stunden auf andere Gedanken bringt und ihm Halt gibt, wenn er mal wieder zu verzweifeln droht. Denn leicht hat er es nie gehabt. "Wenn ich mein bisheriges Leben zusammenfasse, kann ich nur sagen: Es war bescheiden", stellt der 40-Jährige trocken fest.

Schon als Kind fehlte ihm die Geborgenheit. Der Vater war nie richtig präsent, die Mutter mit der Erziehung überfordert. Als er vier Jahre alt war, kam der gebürtige Österreicher zu einer Pflegemutter – und erlebte dort erstmals ein halbwegs normales Familienleben. Sie habe sich viel Mühe gegeben, sagt S. über seine Ersatzmutter. "Aber sie hatte eben auch viele andere Kinder." Bis zu acht Pflegegeschwister wuchsen in der Familie auf, da blieb für den Einzelnen nicht viel Zeit. "Irgendwie hat immer etwas gefehlt."

Als junger Mann versuchte S., in Wien Fuß zu fassen, er machte eine Kochlehre und fand auch einen Job. Doch die Sehnsucht nach einer Familie blieb. Nach dem Tod der Pflegemutter suchte S. deshalb vor einigen Jahren Kontakt zu seiner leiblichen Familie, die zum Teil in Franken lebt. Doch statt eines Neuanfangs wartete auf ihn der nächste Nackenschlag. Der Kontaktversuch scheiterte, S. strandete in einer Nürnberger Obdachlosenunterkunft.

Probleme immer noch präsent

Dort lernte er seinen damaligen Freund kennen, doch das Glück der beiden währte nicht lange. Sein Partner hatte verschwiegen, dass er HIV-positiv ist und S. angesteckt. "Das war ein Schock." Erst recht, weil die Reaktionen im Umfeld wenig positiv ausfielen. Das sei eben die Strafe Gottes für seine Homosexualität, habe ihm ein Sozialarbeiter, der gleichzeitig Pfarrer ist, damals gesagt, erinnert sich der Nürnberger.

Unterstützung fand er bei der Aidshilfe Nürnberg-Fürth-Erlangen, deren Mitarbeiter ihm im Rahmen des betreuten Wohnens zur Seite stehen. "Da habe ich auch Menschen mit einem ähnlichen Schicksal getroffen", sagt der 40-Jährige. Anfang Dezember rückt der Welt-Aids-Tag wieder das Los der HIV-Positiven in den Blickpunkt. Aus der öffentlichen Wahrnehmung sind die Probleme zwar teilweise verschwunden, aber eben längst nicht überwunden.

Kein Geld für Möbel

Auch das Schicksal von Raimund S. steht im Rahmen der Weihnachtsaktion beispielhaft für eine ganze Reihe von Betroffenen. Er kann und will offen mit seiner Infektion umgehen, um anderen Mut zu machen. "Seitdem fällt es mir leichter, damit klarzukommen." Und dank seiner Medikamente hat er sie gut im Griff. Bis vor kurzem war er sogar in einer Kantine beschäftigt, "aber das macht mein Körper nicht mehr mit".

So plagen ihn, nach einer kurzen Phase der Hoffnung, jetzt auch finanzielle Engpässe. Arbeitslosengeld I und aufstockende Leistungen reichen gerade eben für das Nötigste, nicht aber für Anschaffungen wie etwa Mobiliar.

Und dann ist da noch die Sorge um den Erhalt der kleinen Wohnung, in der er sich sehr wohlfühlt. Mit Pflanzen und Teddybären hat er die eineinhalb Zimmer liebevoll dekoriert. Doch jetzt hat die Besitzerin Eigenbedarf angekündigt. Wie er einen Umzug stemmen sollte, ist ihm ein Rätsel.

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