Feierstunde: Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien zieht um

14.10.2020, 16:37 Uhr
Schlüsselübergabe an dem Ort, an dem Weltgeschichte geschrieben wurde: Im Schwurgerichtssaal 600.

© Michael Matejka, NNZ Schlüsselübergabe an dem Ort, an dem Weltgeschichte geschrieben wurde: Im Schwurgerichtssaal 600.

75 Jahre später feiert die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien ihren Umzug in den Ostbau. Und deren Arbeit erscheint aktueller denn je, bläst doch die US-Regierung zum Angriff auf den Internationalen Strafgerichtshof.

Rassenhass, Terror und Gewalt – am 20. November 1945 begann in Nürnberg der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher des NS-Staates. Erstmals in der Weltgeschichte saßen führende Repräsentanten eines Staates für ihre Verbrechen vor einem internationalen Gericht. Der Schwurgerichtssaal 600 im Justizpalast an der Fürther Straße ist seither weltberühmt.

Historische Feierstunden können sich nicht aussuchen, wie sie fallen, aber es fällt auf, dass Klaus Rackwitz, kurz vor dem Festakt des 75. Jahrestags, in einem Vortrag (getagt hatte der Ausschuss der Rechtsberater für Völkerrecht im Europarat) an die Bedeutung der Nürnberger Prinzipien erinnert hat. Einer der Anlässe: Ein Frontalangriff. Die Trump-Regierung will den internationalen Strafgerichtshof zum Schweigen bringen. Es geht um mutmaßliche Kriegsverbrechen des US-Militärs und des Geheimdienstes CIA in Afghanistan.

Umzug ins Strafjustizzentrum

Mit Klaus Rackwitz steht der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien ein Direktor vor, der 2003 in Den Haag als leitender Mitarbeiter der Anklagebehörde half, die Organisation des Weltgerichts überhaupt aufzubauen – und nun werden von Nürnberg aus Richter, Staatsanwälte und Verteidiger auf ihre Mitwirkung an internationalen Strafgerichten vorbereitet. Bislang saßen die Mitarbeiter der Akademie in Büros im Pellerhaus am Egidienberg in der Nürnberger Altstadt, gerade hat Direktor Klaus Rackwitz in einer Feierstunde die Schlüssel für den Ostbau des Justizgebäudes erhalten. Die Akademie zieht in die unmittelbare Umgebung des Schwurgerichtsaals 600. Auf diesen Moment hatten alle lange gewartet, möglich wird der Umzug nach der Fertigstellung des neuen Strafjustizzentrums an der Fürther Straße.


Nürnberger Justiz-Akademie: Unterstützung auch vom Freistaat


Seit die Stifter (Bundesrepublik Deutschland, Freistaat Bayern und die Stadt Nürnberg) am 22. November 2014 die Stiftungsurkunde für die Akademie unterzeichnet haben, geben sich Wissenschaftler, Strafverfolger, Politiker und selbst Könige in Nürnberg die Klinke in die Hand. In Anwesenheit des niederländischen Königspaars Willem-Alexander und Maxima wurde eine Urkunde zur Zusammenarbeit mit der Universität Leiden unterzeichnet, als Redner bei den jährlichen internationalen Konferenzen, dem „Nuremberg Forum“, traten zuletzt Außenminister Heiko Maas (SPD) und Fatou Bensouda auf, Chefanklägerin beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Fatou Bensouda darf schon seit April 2019 nicht in die USA einreisen, weil sie prüfen lassen will, ob zwischen 2003 und 2014 US-amerikanische Militär- und Geheimdienstangehörige in Afghanistan gefangen genommene Menschen gefoltert, misshandelt oder vergewaltigt haben. Erst jüngst drohte die Trump-Regierung, die Sanktionen gegen Bedienstete des Internationale Strafgerichtshof auch umzusetzen. „Hochgradig besorgniserregend“, so kommentieren die Akademie-Direktoren Klaus Rackwitz und Dr. Viviane Dittrich.

Damit Kriegsverbrechen nicht ungesühnt bleiben, wurde der Gerichtshof in Den Haag als überstaatliche Einrichtung, getragen von 123 Mitgliedsstaaten, nach den bitteren Erfahrungen mit Völkermord in Afrika und im ehemaligen Jugoslawien Ende der 1990er Jahre geschaffen. Die USA gehören nicht zu den Mitgliedsstaaten des Gerichts, ebenso wenig wie Russland, China, Iran oder Israel.


Letztes Urteil gefallen: Das wird aus dem historischen Saal 600


„Institutionen kann man ablehnen, das ist das gute Recht eines jeden Staates“, so Rackwitz. „Aber gegen Individuen als Racheakt vorzugehen, Richter, Staatsanwälte und deren Familien persönlich zu verfolgen, zeugt von einem Weltbild, das bedenklich stimmt. Und es torpediert die Gerichte allgemein.“

Dass Recht und Rechtsstaatlichkeit gelten müssen, und nicht das Recht des vermeintlich Stärkeren im Weißen Haus – darin bestehe auch in der Fachwelt der USA weitgehend Einigkeit, betont die stellvertretende Direktorin der Akademie, Dr. Viviane Dittrich. „In unseren Gesprächen mit Forschern, Hochschullehrern, Rechtsanwälten und auch Gerichtspräsidenten wird die Distanz von großen Teilen der Fachwelt deutlich.“ Anders formuliert: Der US-Präsident, der offenbar weder die Gewaltenteilung respektiert noch eine unabhängige Justiz, steht, zumindest in Fachkreisen, ziemlich einsam da.

Tatsächlich handelt es sich bei den aktuellen Ermittlungen nur um eine Voruntersuchung ohne konkret Beschuldigte. Geprüft werden mögliche Kriegsverbrechen der Taliban ebenso wie der US-Armee sowie ihrer aktiv beteiligten Verbündeten, und tätig wird das Gericht nur, wenn die Justiz des untersuchten Landes nicht anklagen will oder kann. Afghanistan ist Mitgliedsstaat des Internationalen Strafgerichtshofes, doch Prozesse gegen US-Bürger wären nur möglich, wenn die USA von sich aus Beschuldigte an das Gericht überstellen und die vermeintlichen Taten nicht selbst verfolgen.

"Frieden durch Recht"

Die vehemente Ablehnung der Strafverfolgung, so Rackwitz, sei auch mit der US-amerikanischen Sichtweise zu erklären, dass nach dem 11. September mit dem Sturz der Taliban ein gerechter Krieg geführt wurde, und derjenige, der etwas bewirken wolle, eben nicht zimperlich sein dürfe. „Doch natürlich führt jeder Krieg, auch ein als notwendig erachteter Krieg, unweigerlich zu menschlichen Tragödien und Kriegsverbrechen“, so Rackwitz.


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Das Credo der Akademie lautet: „Frieden durch Recht“. Um diese Vision mit Leben zu füllen, begrüßt die Internationale Akademie Nürnberger Prinzipien nicht nur Wissenschaftler – die Öffentlichkeit gehört zum Verständnis der Einrichtung.

So steht die Akademie auch im Dialog mit Vertretern der US-Armee aus Ansbach, Vilseck und Grafenwöhr, ein erstes Gespräch am Runden Tisch fand im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände statt, beteiligt waren die Direktoren der Akademie und Mitarbeiter der Museen Nürnbergs. Im Sinne der Modernität der Nürnberger Prinzipien sind auch die Streitkräfte der US-Armee 75 Jahre nach dem internationalen Militärtribunal der Alliierten, eingeladen, sich im Völkerstrafrecht und humanitären Recht weiterzubilden.

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