Finanzamt treibt viele Bürger ins Leihhaus

25.12.2011, 11:00 Uhr
Finanzamt treibt viele Bürger ins Leihhaus

© Mark Johnston

„Gerade eben war ein älterer Mann bei mir und wollte seinen alten Rasierer versetzen“, sagt Karin Banki. Sie steht am Schalter des großen Leihhauses gleich neben dem Hauptbahnhof. „Eigentlich kann ich solche Sachen nicht beleihen, aber ich hatte Mitleid, dann hab ich ihm halt schnell zehn Euro zugesteckt“. Die blonde Frau mit dem milden Lächeln kennt ihre Stammkunden. Gerade unterhält sie sich mit einer älteren Dame. Sie will wissen, ob das Dirndl passt, das sie erst neulich für Bankis Hund gehäkelt hat. „Mir bringen die Leute ständig kleine Geschenke vorbei. Im Moment gibt es meistens Lebkuchen, oder Panettone“.

Shadi Banki, der Chef der Leihhauses, lacht: „Die Karin nimmt ja auch den letzten Schrott an, sie meint es immer viel zu gut“. Ob vor Weihnachten mehr Leute ins Leihhaus kommen, um etwas Bargeld für Geschenke aufzutreiben? „Das kann man so nicht sagen. Vor Weihnachten werden die Pfandgaben eher wieder ausgelöst, schließlich ist das Weihnachtsgeld endlich auf dem Konto“.

Familienschmuck wird vor dem Fest ausgelöst

Neukunden schwemmt es vor allem im neuen Jahr in das Leihhaus. „Wenn die Nachzahlungen für Strom und Finanzamt kommen, dann brauchen die Leute plötzlich Geld“. Zwar sind die Kosten für das Pfandgeld extrem hoch, ein Kredit in Höhe von 300 Euro schlägt da schon mit 9,50 Euro im Monat zu Buche, dennoch ist der Pfandkredit für viele Kunden, die in eine Notlage geraten sind, die letzte Rettung. „Es ist ja auch nicht so leicht, einen normalen Bankkredit zu bekommen“, meint Banki. „Um eine kurze Zeit zu überbrücken, kommen die Leute dann eben zu uns“. Das Geschäft lohnt sich, gerade lässt Banki neue Verkaufsräume herrichten.

Finanzamt treibt viele Bürger ins Leihhaus

© Eduard Weigert

Dass Finanzamt und Stadtwerke die meisten Kunden in die Leihhäuser bringen, bestätigt auch Gerhard Riedel vom Kfz-Pfandleihhaus in der Höfener Straße. „Da muss dann schnell Geld fließen, sonst haben die Leute ein Problem“. Ähnlich ist die Lage im Leihhaus der Stadt, so Leiter Wolfgang Jeske. Er unterscheidet zwei Arten von Kunden. Diejenigen, die dringend Geld brauchen, um Versicherungen, Stadtwerke und Finanzamt bedienen zu können. Und diejenigen, die den beliehenen Familienschmuck kurz vor dem Fest wieder auslösen wollen. „Schließlich muss man den an Weihnachten präsentieren und kann nicht zugeben, dass man ihn für Bares beliehen hat“. Oftmals landen die frisch ausgelösten Schätze aber nach kurzer Zeit wieder im Lager des Leihhauses. Ob auch Schmuckstücke beliehen werden, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen, kann er nicht sagen. „Wir fragen niemanden, wofür er das Geld braucht“.

Mit dem Bodyguard zum Weihnachtsshopping

Beliehener Goldschmuck landet bei Banki fein säuberlich sortiert in eckigen Backformen in einem Schrank im Lager gleich hinter dem Schalterraum. Werden die beliehenen Artikel nicht ausgelöst und die Gebühren nicht mehr beglichen, so landen sie in der Versteigerung. Was dort keinen Käufer findet, kommt zusammen mit in Zahlung gegebenen Schmuckstücken in Bankis Laden.

Zwischen wertvollen Uhren, Ketten und Diamantringen müsste man eigentlich ein profitables Weihnachtsgeschäft erwarten, aber die Zeiten haben sich in den letzten Jahren geändert. „Es ist nicht mehr so wie früher“, so Banki, „vor einigen Jahren kamen auch noch einfachere Leute zu uns, um für ihre Frauen hübsche Ringe oder Uhren zu kaufen“. Mittlerweile ist die Schere zwischen Arm und Reich aber größer, und einen 1000-Euro-Ring unter dem Christbaum können sich viele einfach nicht mehr leisten.

Die ganz teuren Schmuckstücke gehen hingegen noch genauso gut weg wie früher. Erst vor ein paar Tagen war ein Mann mit seinem Bodyguard bei ihm im Laden auf weihnachtlicher Schnäppchenjagd. Der Fahrer musste derweil vor dem Laden am Luxuswagen warten.

Bleibt zu hoffen, dass er mit den gekauften Geschenken richtig liegt. Denn nach Weihnachten herrscht im Leihhaus meistens Umtauschstress. „Da suchen Männer vor dem Fest Schmuckstücke für ihre Frauen aus und zwischen den Tagen stehen sie dann gemeinsam im Laden und ziehen ein Gesicht.“ Wenn er die Frau zum ausgesuchten Schmuck sieht, erschrickt Banki häufig: „Manche Männer schauen ihre Frauen anscheinend jahrelang nie an, so falsch, wie sie mit den Geschenken oft liegen. Einfach unglaublich.“ Glücklicherweise ist das aber die Ausnahme.

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