Freude für alle - Fall 32: Ein kleines Taschengeld muss reichen

21.12.2020, 06:54 Uhr

Das kleine Zimmer ist nur sparsam möbliert, aber sehr sauber und aufgeräumt. Agid (Name geändert) hält alles perfekt in Schuss. Ordnung sei ihm wichtig, sagt der junge Mann, der aber auch zeigen will, dass er seinen Alltag alleine bewältigen kann. Mit einem Freund teilt er sich zwei Zimmer, Küche und Bad in einem Wohnprojekt. Die Jugendlichen bereiten sich in der Einrichtung auf ein selbstständiges Leben vor, haben aber noch Sozialpädagogen in Reichweite, die bei großen und kleinen Problemen helfen. "Das fühlt sich gut an", findet Agid. "Wir müssen selber putzen und einkaufen und das wird auch von den Erziehern kontrolliert. Aber wenn es darauf ankommt, hat man hier viel Hilfe."


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In seinen gut sieben Jahren in Deutschland hat es Agid weit gebracht. Als er mit Cousin und Onkel aus Syrien flüchtete, sprach er kein Wort deutsch und musste ohne Eltern und Geschwister in einem fremden Land neu anfangen. Der Onkel, der sich eigentlich um die beiden Kinder hätte kümmern sollen, saß in Abschiebehaft, Agid und sein Cousin kamen zu Pflegeeltern. "Sie waren Kurden wie wir", sagt Agid. "Das hat mir die Eingewöhnung erleichtert."

"Ich würde so gerne meine Eltern wiedersehen"

Doch nach zwei Jahren wurde seine Pflegemutter sehr krank und konnte die Betreuung nicht mehr stemmen. Der junge Syrer kam in ein Kinderheim und musste sich wieder neue Bezugspersonen suchen. Die Integration gelang jedoch gut: Agid schaffte den Hauptschulabschluss und macht jetzt eine Lehre als Dachdecker. "Das macht mir Spaß", schwärmt er. "Ich arbeite gerne an der frischen Luft." Parallel dazu wechselte er von der Wohngruppe in das Wohnprojekt - der letzte Schritt vor dem Start in die Selbstständigkeit.

Auch wenn er sich dort wohlfühlt, würde er sein Zimmer jetzt liebend gerne gegen eine eigene kleine Wohnung eintauschen. "Man ist hier halt doch nicht ganz so frei", sagt der 17-Jährige. Manchmal stehen nach den langen Arbeitstagen noch Besprechungen an, wer zu spät kommt, muss sich rechtfertigen. Zudem zieht es Agid hinaus aufs Land, "ich mag die Natur".

Doch im Moment liegt ein Umzug noch in weiter Ferne. Drei Viertel seines Azubi-Gehaltes muss Agid für seine Unterbringung an das Jugendamt abtreten, ihm selbst bleiben nur 150 Euro Taschengeld. "Damit komme ich klar", betont der junge Mann, der sich überhaupt nicht beklagen will. Nur: Rücklagen für Miete, Kaution und Möbel kann er davon nicht bilden. Dringend bräuchte er außerdem einen Führerschein, um nach Abschluss der Ausbildung die verschiedenen Baustellen zu erreichen. Die Weihnachtsaktion will helfen.

Seinen größten Wunsch kann ihm derzeit ohnehin niemand erfüllen. "Ich würde so gerne meine Eltern wiedersehen", sagt Agid. Doch nach Syrien könne er nicht zurückkehren, selbst wenn er die Kosten für die Reise aufbringen könnte. Seine zwei jüngsten Geschwister hat Agid noch nie gesehen.

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