Freude über Kinder, Ärger über Politik

27.7.2019, 08:00 Uhr
Freude über Kinder, Ärger über Politik

© Eduard Weigert

Kinder, wie die Zeit vergeht! Kürzlich hat Andrea Seuß einige ihrer ersten Krippenkinder wieder getroffen. Auf dem Geburtstagsfest zum zehnjährigen Jubiläum des Gostenhofer "Murrhäuschens" in der Desi. Aus den Knirpsen sind Teenager geworden, die Schnuller- und Sandkasten-Ära ist längst passé. Als sie in dem hübschen Hinterhaus in der Murrstraße betreut wurden, waren sie zwischen ein paar Monaten und drei Jahren alt. Die wenigsten konnten sich bewusst an ihre Erzieherinnen von einst erinnern. Eigentlich schade.

"Wir wissen ja, dass es so ist", meint Andrea Seuß pragmatisch. Weiß die erfahrene Pädagogin doch auch, dass ihre Schützlinge selbst ohne bewusste Erinnerung viel mitnehmen aus ihren Jahren in der Krippe. "Es ist eine sehr prägende Zeit", sagt die 55-Jährige. Die Kinder durchlaufen wichtige Entwicklungsschritte, sie lernen sprechen, wachsen körperlich wie emotional und erfahren soziales Miteinander.

Als sie vor zehn Jahren die Idee einer eigenen Kinderkrippe verwirklichte, hat sich Andrea Seuß bewusst an der pädagogischen Grundhaltung von Emmi Pikler orientiert. Leitmotiv der ungarischen Kinderärztin: Kleinkinder können sich am besten entfalten, wenn sie sich möglichst eigenständig ausprobieren und entwickeln dürfen. So sammeln sie wertvolle Erfahrungen, die das Selbstwert-gefühl stärken und einen wichtigen Bildungsgrundstein legen.

Andrea Seuß ist überzeugt: "Es ist ein Schatz, den die Kinder in sich tragen fürs Leben." Auch das Thema Partizipation sei mittlerweile in der Kita-Arbeit angekommen. Den Bedürfnissen und Meinungen der Kinder mehr Raum geben, ihre Entscheidungen mit einbeziehen – geht das in der Krippe? Andrea Seuß hat dazu beim diesjährigen Krippenkongress der Soke e. V., der Dachorganisation der selbst organisierten Kindertageseinrichtungen in Nürnberg, einen Workshop abgehalten. Sie ist sicher: "Ja, das geht!"

Ihre persönliche Zwischenbilanz nach zehn Jahren fällt positiv aus. Den Entschluss, eine Krippe in Eigenregie zu gründen, hat sie nie bereut. Eine politische Entwicklung aus dieser Zeit aber ärgert sie sehr: das im Januar dieses Jahres verabschiedete sogenannte "Gute-Kita-Gesetz". Bis 2022 will der Bund den Ländern 5,5 Milliarden Euro auf fünf Jahre verteilt für die Weiterentwicklung der Qualität in der Kindertagesbetreuung zur Verfügung stellen. Es kann zur Finanzierung pädagogischer Angebote, Fortbildungen oder besserer Betreuungsschlüssel verwendet werden.

Nur: Ursprünglich war fast doppelt so viel Geld dafür vorgesehen, auch über 2022 hinaus, was nachhaltiger gewesen wäre, wie Seuß findet: "Ich persönlich glaube, dass zum Beispiel die Stärkung der Leitung durch Freistellungsstunden und Fortbildungen unabhängig von der Größe der Einrichtung unmittelbar zur Verbesserung der Qualität führt. Es ist sehr schade, dass der Bund nun die Gelder nicht wie geplant fließen lässt."

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© Stefan Hippel

Übergang behutsam vorbereitet

Aus der 2009 eröffneten Krippe "Kunterbunte Schmetterlinge" des Kreisverbandes Nürnberg-Stadt des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in der Striegauer Straße in Langwasser ist inzwischen ein Haus für Kinder geworden. Vor fünf Jahren kamen zu den 36 Krippen- noch 20 Kindergartenplätze dazu. "Wir hätten von Anfang an mehr Häuser für Kinder bauen sollen", meint Ulrike Sing, die den Krippenausbau beim BRK in Nürnberg koordiniert und mitgeplant hat.

"Damals war es ein Hype, schnell möglichst viele Krippenplätze zu schaffen, aber das war eben nur eine halbe Sache", sagt sie im Rückblick. Die Verbindung von mehreren Einrichtungen unter einem Dach habe viele Vorteile. Der Übergang in den Kindergarten kann behutsam vorbereitet werden. Die Kleinen profitieren von den Großen und umgekehrt. Ein Grund, warum bereits die drei Schmetterlings-Gruppen altersgemischt sind, betreut werden dort Kinder ab acht Wochen bis zu drei Jahren.

Was hat sich noch getan in der vergangenen Dekade? "Die Krippenbetreuung ist in der Gesellschaft angekommen", hat Kerstin Gründel, Leiterin der "Kunterbunten Schmetterlinge", die Erfahrung gemacht. Die Diskussion "Bin ich eine schlechte Mutter, wenn ich mein Kind in die Krippe gebe?" habe nachgelassen. Ulrike Sing glaubt, dass die Forschung und positive Berichterstattung dazu beigetragen haben, Vertrauen und Akzeptanz in die frühkindliche Betreuung außer Haus aufzubauen.

Normaler sei es inzwischen auch, dass die Väter stärker an Erziehungsfragen interessiert sind. "Die Eingewöhnungszeit übernehmen zwar überwiegend die Mamas, aber es kommen mehr Papas zu den Eltern- oder Entwicklungsgesprächen", sagt Gründel. Die pädagogischen Anforderungen an sie und ihr Team sind gestiegen. Vor allem das Thema Sprachförderung ist aus dem heutigen Krippenalltag nicht wegzudenken. "Die Kinder lernen sehr schnell, aber bei der Kommunikation mit den Eltern ist die Sprache oft eine große Hürde." Nicht selten müssen zu Gesprächen Übersetzer hinzugezogen werden.

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© Eduard Weigert

Sprachförderkraft kam dazu

Rita Kleinlein, Leiterin der Krippe Luisenstraße in St. Peter, kann Ähnliches berichten. "Die Flüchtlingskrise ist auch bei uns angekommen", sagt sie. Die Struktur ist bunter geworden, viele der insgesamt 24 Krippenkinder haben einen Migrationshintergrund. Die Einrichtung der Rummelsberger Dienste für junge Menschen, zu der auch ein Kindergarten gehört, ist seit einiger Zeit Sprachkita.

"Bis vor zwei Jahren wurden Krippen hier vom Staat nicht gefördert", erzählt Kleinlein. Nun können sie eine eigene Sprachförderkraft beschäftigen, die auch die Kita-Mitarbeiter schult. Kleinlein, die seit langem den Kindergarten im Haus leitet, hat vor etwa sechs Jahren parallel die Krippenleitung übernommen.

Wichtig ist der 63-Jährigen mit über 40 Jahren Berufserfahrung, dass der Übergang von der Krippe in den Kindergarten noch fließender passiert. "Jeder hat natürlich seinen eigenen Bereich, aber die Kinder besuchen sich gegenseitig oder treffen sich im Garten." So fällt vielen der Krippenabschied nicht ganz so schwer. Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für unter Dreijährige sei ungebrochen hoch, weiß die Pädagogin. "Die Eltern haben aber heute eher die Möglichkeit zu vergleichen und auszuwählen."

Was auch ihr auffällt: Die Kontakte zu Vätern nehmen zu. "Obwohl die Väter hier im Stadtteil schon immer mitgeholfen haben, wenn es zum Beispiel um Feste oder handwerkliche Sachen ging", betont sie. Jetzt interessieren sich die Papas mehr und mehr für erzieherische Belange. Was allen Einrichtungen Sorgen bereitet, ist die Personalsituation. Der Markt an Fachkräften ist leergefegt. "Wir sind aktuell gut besetzt, aber es kommt kaum was nach", meint Rita Kleinlein. Sie freut sich, dass demnächst ein rarer männlicher Praktikant ihr Team unterstützen wird. Auch Kerstin Gründel und Ulrike Sing seufzen, als das Thema zur Sprache kommt. Man hätte ab dem Beginn des massiven Krippenausbaus die Ausbildung von Fachkräften fördern müssen. "Es passiert erst jetzt langsam etwas", meint Sing. Bis sich die Situation entspannt, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Der BRK-Kreisverband hat in den letzten zehn Jahren acht Krippen und Häuser für Kinder in Nürnberg eröffnet. Ulrike Sing: "Wir würden weitermachen, aber der Personalmangel lässt es nicht zu. Und wir wollen nicht in schlechte Qualität abrutschen." (Siehe auch Infokasten)

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