Gicht läutert Leib und Seele

30.5.2012, 00:00 Uhr

Auch Willibald Pirckheimer (1470– 1530), den Juristen, Humanisten, Italienreisenden und Spezi von Albrecht Dürer, plagte die Gicht bereits mit Anfang Vierzig in Händen und Füßen. Was macht man da? Man kann zum Doktor gehen, der einen mit seinen Mixturen erst recht krank macht. Oder man lässt sich bedauern. Oder man tritt die Flucht nach vorne an. So auch Willibald Pirckheimer: Der verfasste 1521 ein „Lob der Podagra“.

Ein solches Loblied ist natürlich nicht ganz ernst gemeint. Für solche Loblieder gibt es sogar einen speziellen Fachbegriff: „Enkomion“. Das geht auf die antike Literatur zurück, und bedeutet die Kunst, sich mit unangenehmen und unabwendbaren Dingen abzufinden. Allerdings nicht in resignativem Tonfall, sondern im Gegenangriff, nämlich indem das üble Ding in Persona vor einem Richter steht und sich dort in einer Brandrede selbst verteidigt.

Es gibt mehrere solcher Enkomia. Loblied der Mücke, Preisung der Tyrannei, Laudatio der Glatzköpfigkeit und viele mehr. Erasmus von Rotterdam verfasste das berühmteste Enkomion, das „Lob der Torheit“.

Wie nun geht Willibald Pirckheimer vor? Zunächst einmal zählt er all die materiellen Vorteile auf, die die Gichtgeplagten aufgrund ihrer Krankheit genießen: „Die Podagristen werden geehrt, jedermann macht ihnen Platz, bei Gastmählern dürfen sie verlangen, was sie wollen, zu Hause ist alles ganz bequem bei ihnen eingerichtet. Dann fahren sie in herrlichen Wagen, während sie sonst zu Fuße gehen müssten.“ Das war bei Pirckheimer sowieso der Normalfall.

Freilich, so gesteht die Podagra vor ihrem Richter ein, wiegen die Vorwürfe schwer: „Ich sei vielmehr die Pest und die Seuche des menschlichen Geschlechts, als seine Gönnerin und Wohltäterin: denn ich veränderte die Gestalt, saugte das Blut aus, nähme die Farbe, schwächte die Kräfte, raube den Schlaf, verderbe die Augen, nehme die Lebendigkeit, die Fröhlichkeit, vertriebe Witz, Lachen und Scherze, krümmte Hände, Finger, Glieder, Schultern, Knie, Waden, kurz den ganzen Körper, breche, schwäche ihn...“ Das musste einen Draufgänger wie Willibald, der schon als Zehnjähriger seinen Vater von Hof zu Hof begleitet hatte und der sich später im Krieg mit den Schweizern zoffte, tief kränken.

Doch all das hat seinen tieferen Sinn, verteidigt sich die Podagra: „Denn indem ich den Körper herunterbringe, mache ich die Seele gesund; indem ich das Fleisch schwäche, stärke ich den Geist; indem ich das Irdische reinige, führe ich das Himmlische ein; indem ich das Zeitliche austreibe, bringe ich das Unsterbliche.“

Und das sollen wir glauben? Aber ja, denn jetzt wird’s biologisch-theologisch: Der Leib ist der Feind der Seele. „Immer ist diese dicke Masse das Hindernis, dass die Menschen nicht zum Himmel emporstreben.“ Darüber hinaus bereitet die Podagra allen Lastern des Fleisches ein Ende: „Ich halte sie (die gichtigen Männer) von der Unzucht zurück und verschaffe auf gleiche Weise Ehefrauen und Mädchen den Frieden, sodass die Meinigen niemals oder doch selten Unzucht oder Ehebruch zu verüben wagen. Tun sie es, so nehme ich sie so in Pflicht, dass sie nicht minder die Tat bereuen, als sie das ganze weibliche Geschlecht hassen.“

Na, das sagt gerade der Richtige: Willibald Pirckheimer war zwar verheiratet, aber nur für fünf Jahre, dann starb seine Frau Creszentia Rieter im sechsten Kindbett. Willibald hätte wohl wieder heiraten können, schließlich war er ein hochvermögender Mann. Aber offenbar wusste er die Freiheit seines Witwerdaseins stärker zu schätzen als die trauliche Zweisamkeit. Wie die aussehen konnte, dafür bot die Ehe von Duzfreund Albrecht und seiner Agnes ein schönes Beispiel. Willibald gilt ja als der große Denkmalsetzer von Frau Agnes ex negativo. Das Bild des Hausdrachen geht allein auf ihn und seine Zänkereien mit ihr nach Dürers Tod zurück.

Ein keuscher Mensch war Willibald deswegen ganz und gar nicht. Irgendwo musste er ja den Forderungen des Leibes Genüge leisten. Für solche Zwecke gab es Badestuben, in denen Hübschlerinnen den Gästen zu Willen waren. Solche Stuben waren allein für unverheiratete Gesellen reserviert. Witwer durften zwar auch mitplanschen, verscherzten es sich damit aber im Ansehen und mit der Gunst guter Partien. Offenbar sprach der wilde Willie den Badestuben nur gar zu gern zu, ja, er soll sogar den Albrecht mit eingeladen haben.

Stimmt das so? Nun ja, wenn Männer untereinander über Frauen reden, verlagert sich das Niveau schnell ins Tiefparterre. Bekannt ist ein Kupferstich Dürers, „Die Versuchung des Müßiggängers“, das einen schlummernden Gelehrten, vermutlich Willibald, vielleicht auch Konrad Celtis zeigt, den im Traum Frau Venus besucht und dem der Teufel allerhand Fantasien ins Ohr bläst. Berühmt-berüchtigt ist eine Zeichnung von Albrecht Dürer, die seinen Kumpel Willie im Profil zeigt. Das Skandalöse an dem Blatt ist eine beigefügte Zeile in Griechisch, die in Dürer-Monographien geflissentlich unübersetzt bleibt und Humanisten die Schamesröte ins Antlitz treibt. Sie lautet: „Mit dem aufrechten Mannesglied in den Arsch des anderen.“ Neueste kriminaltechnische Untersuchungen ergaben, dass Schrift wie Zeichnung von ein und demselben Silberstift stammen. Wer hat die Sudelei verbrochen? Albrecht? Willie? Oder vielleicht ein Zechgenosse aus der Herrentrinkstube?

Wenn die Podagra solchem Treiben Einhalt gebietet, kann auch ein Humanist wie Willibald Pirckheimer erleichtert aufseufzen und den Verlockungen des Fleisches Lebewohl sagen. Denn wie sagt Frau Podagra? „Wenn daher jemand in meine Hände gerät, der sich etwas widerspenstig oder übermütig zu benehmen wagt, den mache ich so zahm, dass er noch artiger als die Grazien und noch demütiger als ein Sklave wird.“

 

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