Giftiger Müll lagerte überall

8.2.2009, 00:00 Uhr
Giftiger Müll lagerte überall

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Die Chemische Fabrik Marktredwitz CFM existierte seit beinahe 200 Jahren, sie war sehr bekannt und führend in der Herstellung von Quecksilberprodukten.

Selbst Goethe besichtigte 1822 fünf Tage lang den Betrieb und vermerkte, dass alles «auf das Reinlichste» hergestellt würde. Der Dichterfürst kannte den Begriff «Umweltverschmutzung» noch nicht.

Die mittelbaren Folgen für die Nahrungskette kannte man spätestens seit der Katastrophe im japanischen Minamata Ende der 50er Jahre. Dort verklappte der Chemiekonzern Chisso mit Quecksilber verseuchte Abwässer ins Meer, daraufhin erkrankten Zehntausende nach dem Verzehr vergifteter Fische, etwa 3000 Menschen starben.

Auch bei der CFM wusste man um die tödliche Potenz dieses seltsamen, bei Zimmertemperatur flüssigen Metalls. Schließlich arbei- tete man seit 1788 damit, gefragte Produkte in der neueren Zeit waren Beizmittel für Saatgut und Herbizide. Die Herstellung war jedoch alles andere als «reinlichst».

Das Firmengelände der CFM grenzte an den Bach Kösseine. Im Juni 1985 entdeckten Beamte des Wasserwirtschaftsamtes, dass Abwässer ungeklärt in den Bach geleitet wurden. Der Quecksilbergehalt betrug 160 Milligramm pro Liter, zulässig waren höchstens 0,4 Milligramm. Daraufhin stoppte das Landratsamt die Produktion der CFM.

Was die Ermittlungsbeamten dann aufdeckten, nannte der Bayerische Umweltausschuss später einen «Fall von geradezu apokalyptischen Dimensionen». Den Beamten bot sich bei den ersten Begehungen ein Bild des Grauens. Überall auf dem Firmengelände fanden sich ungesicherte Behälter mit hochgiftigen Rückständen. In den Produktionsräumen konnte man das Quecksilber von den Wänden und Böden kratzen, es glitzerte überall. Im Erdreich des Areals hätte man Quecksilber schürfen können, die Konzentration war so hoch wie in den besten Minen.

«Verwahrloster Zustand»

Bei der späteren Bodensanierung gewann man 50 Tonnen reines Quecksilber. Unter der Firma befanden sich zugemauerte Kavernen, gefüllt mit Giftfässern; sie enthielten genug Arsen, Cyanid und andere hochtoxische Stoffe, um ganz Marktredwitz zu entvölkern. Nicht nur das Gelände, auch die Belegschaft war verseucht, die Quecksilberwerte in Blut und Urin lagen weit jenseits des Zulässigen. Acht Todesfälle und 28 schwere Erkrankungen seit 1947 bilanzierte das Umwelt- und Arbeitsministerium. Wie hatte es soweit kommen können?

Vor dem Fall des eisernen Vorhangs lag Marktredwitz im strukturschwachen Grenzland, da waren die etwa 100 Arbeitsplätze der CFM wichtiger als Gesundheit oder Umweltschutz. Besser ein gefährlicher Job als gar keiner, lautete die Maxime nicht nur bei der Einwohnerschaft. Ob Gewerbeaufsicht oder Landratsamt, Berufsgenossenschaft oder Umweltministerium, alle wussten Bescheid und sahen lange tatenlos zu. Bereits 1977 zeigte eine Betriebsbegehung einen «ziemlich verwahrlosten Zustand» der Firma. Es passierte wenig. Gelegentlich mahnte die Gewerbeaufsicht Verbesserungen an, eine Kontrolle der Umsetzung unterblieb. Eine Rückständeaufbereitungsanlage, in der auch Abfälle anderer Giftklitschen «verarbeitet» wurden, lief mit Wissen der Behörden zehn Jahre ohne abfallrechtliche Genehmigung. Entsorgungsnachweise für den Abfall wurden nicht erbracht, die CFM behauptete einfach dreist, es gäbe keine Abfälle, alles würde wiederverwertet. Das Umweltministerium sah keinen Grund, daran zu

zweifeln. «Man muß sich auf die Angaben der Firma ja verlassen können», erklärte der zuständige Ministerialrat treuherzig vor dem Untersuchungsausschuss.

Behörden versagten

Als die CFM einmal von sich aus meldete, die Grenzwerte nicht einhalten zu können, empfahl die Bezirksregierung, einen höheren Wert zu beantragen, den man einhalten könne. Der wurde dann auch prompt genehmigt. Betriebsbesichtigungen der Gewerbeaufsicht, die eigentlich unangekündigt zu erfolgen hatten, teilte man der CFM zwei Tage vorher mit. Die konnte dann sauber machen oder notfalls besonders kontaminierte Bereiche einfach für gesperrt erklären.

Das Totalversagen der Behörden wirkte sich letztendlich sogar strafmindernd im Prozess gegen die Firmenchefs aus. Im Februar 1989 wurden Rolf und Oskar Tropitzsch wegen gefährlicher Abfalllagerung und Gewässerverschmutzung zu Geldstrafen in Höhe von 110 000 und 80 000 Mark verurteilt. Nicht gerade viel angesichts der 150 Millionen Mark, die die Sanierung des Geländes danach den Steuerzahler kostete. Nur zwei Mitarbeitern wurden Berufskrankheiten attestiert, in den übrigen Fällen war eine chronische Vergiftung nicht eindeutig nachweisbar.

Übrigens: der Vertrieb von Fieberthermometern, Barometern oder Blutdruckmessgeräten, die Quecksilber enthalten, ist nach einem Beschluss des Europaparlaments ab April 2009 in der gesamten EU verboten. Ihre alten Geräte sollten Sie umweltgerecht entsorgen. KLAUS LEHNBERGER