Gostenhofs Bewohner leiden unter Schmierereien

17.1.2013, 13:06 Uhr
Gostenhofs Bewohner leiden unter Schmierereien

© Michael Matejka

Es ist schon das zweite Mal. Innerhalb eines halben Jahres. Erst klatschten Farbbeutel gegen die Reihenhausfassade. Vergangene Woche entdeckten die Eigentümer der neu gebauten Häuschen in der Mittleren Kanalstraße Graffiti-Schmierereien an den Wänden. „Bonzen jagen“ oder „Saubere Wände = teure Mieten“ wurde in der Nacht vom 10. auf den 11. Januar auf die Häuser gesprüht. Daneben: ein feuerrotes Anarchie-Zeichen.

Den Eigentümern der Reihenhäuser reicht es langsam. „Wir sind sauer und genervt“, sagt ein 73-Jähriger. „Das ist doch kein Bonzenviertel hier.“ Der Rentner, der anonym bleiben möchte, hat sein Häuschen, in das er im Juli 2012 gezogen ist, über die Bank finanziert. Monat für Monat stottert er den Kredit dafür ab. „Wenn die nur mal gucken würden, was hier eigentlich für Leute wohnen“, ergänzt ein Nachbar. Mit „die“ meint der 39-Jährige die Graffiti-Sprüher. Hier wohnen viele junge Familien, die auch vorher schon im Viertel gelebt hätten, fährt er fort, „die werden jetzt geschädigt“. 

Es ging schon während der Bauphase los, als die schlanken Reihenhäuschen jenseits des Jamnitzer Platzes hochgezogen wurden. Ein Werbeplakat wurde zerschnitten. Kaum fertiggestellt, folgten die ersten Farbattacken. Auch strahlende Fassaden gerade renovierter Altbauten werden regelmäßig zur Zielscheibe anonym artikulierten Protests. Uwe Janza, Vorsitzender des Bürgervereins Gostenhof, hatte irgendwie sogar damit gerechnet, als er sein Haus in der Mittleren Kanalstraße saniert hatte. Prompt sprühten Unbekannte Wand und Sockel voll. 

Die Polizei zählt inzwischen allein in der Mittleren Kanalstraße ein gutes Dutzend Fälle. Und einen Sachschaden von rund 50000 Euro. „Wenn nicht sogar mehr“, sagt Polizeisprecher Peter Schnellinger. Das Staatsschutz-Kommissariat ist eingeschaltet, weil die Sachbeschädigungen eine politische Botschaft transportieren. Die Sprüher stammen wahrscheinlich aus der linksautonomen Szene.

Ähnliche Attacken auf schicke Fassaden sind auch in anderen Quartieren großer Städte zu beobachten; überall dort, wo Investoren für billiges Geld Häuser und Wohnungen kaufen, sanieren und dann so teuer weiterverkaufen oder vermieten, dass alteingesessene Bewohner wegziehen müssen.

Ein Gespenst namens „Gentrifizierung“ geht um. Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung eines Quartiers. Mit der Folge, dass Wohnen teurer wird. Wie die Situation in Gostenhof aussieht, will der Bürgerverein herausfinden. Bewohner sollen befragt werden. Uwe Janza: „Wir wollen versuchen, konkrete Zahlen zu bekommen: Wie haben sich Mieten verändert?“

Gostenhof wurde in den vergangenen Jahren Stück für Stück aufgehübscht. „Das ist eine Aufwertung mit Vor- und Nachteilen“, fährt Janza fort. Eine der negativen Seiten: Erst neulich wurde einem Obst- und Gemüsehändler gekündigt. Der Hauseigentümer will den Laden lieber an einen Gastro-Betrieb verpachten, wird kolportiert. Weil sich damit mehr Geld machen lässt.

Nichts für Normalverdiener ist auch ein Bauprojekt, das in einem Innenhof an der Mittleren Kanalstraße entstehen wird. Die teuerste Wohnung, fünfeinhalb Zimmer auf 109 Quadratmetern, dazu eine 87-Quadratmeter-Dachterrasse, kommt auf 749000 Euro. Geld, für das man am Stadtrand ein ordentliches Haus bekäme. 

„Die Leute wollen da wohnen, wo die Farbbeutel fliegen“, sagt Rechtsanwalt Christian Bomhard, der für die Nürnberger Glöckner International Development die Kundengespräche führt, und meint das ganz ernst. Gerade junge Besserverdiener, die schon in den Szenevierteln anderer Städte gelebt hätten, zöge es nach Gostenhof. Auf dem Grundstück im Hinterhof standen einst die Pferdeställe der Lederer-Brauerei. 

Im Prospekt von „Go3“, wie die edel ausgestattete Anlage mit neun Wohnungen, Tiefgarage und einem Hundewaschplatz im Keller heißt, liest sich das so: „Gostenhof ist nicht steril und chic, sondern authentisch, multikulturell und organisch gewachsen.“ 

Neben den einkommensstarken Jungen hat Bomhard auch die ältere Generation als Zielgruppe im Blick. Die „Empty Nesters“, Paare nach der Familienphase also, die ihr Haus am Land loswerden und in die Stadt ziehen wollen. Bei aller Begeisterung für Nürnbergs „lebendigstes Viertel“ verspricht der Glöckner-Prospekt freilich auch „hohen Sicherheitsstandard durch abgeschirmte Lage, erhöhte Einbruchsicherheitsklasse und Alarmsysteme für alle Fenster und Eingangstüren. Die Farbbeutel, nur so kann man das verstehen, sollten vielleicht doch lieber woanders fliegen.

Die neulich beschmierten Fassaden in der Mittleren Kanalstraße sind zum Teil wieder gereinigt. Mit Scheuermilch kämpfte der 73-jährige Hauseigentümer gegen die Farbe. Eine anstrengende Sache. „Ich bereue es nicht, dass ich hierhergezogen bin“, sagt er. „Aber ich hoffe doch, dass das irgendwann ein Ende hat.“ 

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