Großes Kino auf fahrbarem Untersatz

3.5.2009, 00:00 Uhr
Großes Kino auf fahrbarem Untersatz

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Eine tolle Sache war das an lauen Sommerabenden. Bei kühlem und regnerischem Wetter galt es, die Bedienung des kleinen Heizlüfters zu erkunden und den Wassertropfen auszuweichen, da die Fenster wegen der Kabel einen Spalt offen bleiben mussten. Scheibenwischer einschalten, war nicht ratsam - mit leerer Batterie war der "Drive-Out" gefährdet. Die Gewieften wussten sich zu helfen: Wenn man die Scheiben mit einer aufgeschnittenen Kartoffel abrieb, perlte der Regen ab.

Bevor die Freilichtkinos über den großen Teich nach Europa und 1969 auch nach Nürnberg kamen, hatten sie längst ihren Siegeszug durch die Vereinigten Staaten angetreten. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Autokult einsetzte, ging es richtig los mit den Autokinos. Zwischen 1950 und 1960 entstanden in den USA 4000 Drive-In-Theatres in der Peripherie der Städte und auf dem flachen Land, während gleichzeitig Tausende von konventionellen Filmpalästen schlossen.

Die Leute liebten das preiswerte Freizeitvergnügen, bot es doch eine Menge Freiheiten. Man trug legere Kleidung, konnte in seinem Pkw essen, trinken, rauchen, Kinder oder Haustiere mitbringen. In der Pause traf man sich an den Imbissständen, um sich mit Pommes, Cola und Ice-Cream zu versorgen. So genoss man inmitten der Leute seine Privatsphäre, was besonders die Jugendlichen im prüden Amerika zu schätzen wussten.

Probelauf in Erlangen

In Franken erkannte man die Zeichen der Zeit schon 1954. Auf dem Parkplatz der Frieseke & Höpfner-Werke in Erlangen gab es eine Autokino-Probeaufführung mit einem neu entwickelten Kinoprojektor. Auf der 312 m² großen Filmleinwand zeigte man den Heimatfilm «Hubertus». Doch die Zuschauer waren mit dem Sinn eines Autokinos noch nicht so recht vertraut. Sie stiegen aus ihren Autos und verkrochen sich erst hinters Lenkrad, als es zu regnen begann. 1960 eröffnete das erste Autokino Europas in Gravenbruch bei Frankfurt in der Nähe von US-Kasernen. Es existiert noch heute.

Neun Jahre später folgte Nürnberg. Am 7. Mai um 20.45 Uhr wurde am Marienberg auf der 15 Meter hohen und 36 Meter breiten Bildwand der Thriller "Die Lady in Zement" mit Frank Sinatra gezeigt. Die 60.000 Quadratmeter große Anlage bot Platz für 1111 Autos. 14 Einstellreihen, im Halbrund angeordnet gab es auf den im Abstand von elf Metern angebrachten Rampen, die wegen der Sicht etwas angehoben waren. Auf den Rampen befanden sich die "Zapfsäulen" mit Lautsprecher (ins Auto einzuhängen), Heizlüfter und Serviceknopf.

Der Stadtteilanzeiger der Nürnberger Nachrichten zog eine Bilanz der ersten Monate: "Das amerikanische Beispiel scheint zum durchschlagenden Erfolg zu werden... Das rege Interesse lässt die Skeptiker verstummen. Sie fürchteten die verschlossene Mentalität der Franken." Doch diese fanden es "gemütlich wie zu Hause". Man ließ sich am Auto bedienen oder holte sich etwas von der "Hamburger-Hütte" (McDonalds war noch in weiter Ferne) oder der Snack-Bar.

Die Betreiber waren zufrieden: Bereits im ersten Jahr waren alle Kosten eingespielt. Nach fünf Jahren verzeichnete man 1,5 Millionen Besucher. Es hatte sich ein Stammpublikum entwickelt, das am Wochenende auch weitere Anfahrtswege in Kauf nahm. Die NN fragten, warum die Leute das Kino auf vier Rädern bevorzugten. "Ich freue mich, dass ich auch mein ,Zamperl‘ mitnehmen kann; der hockt hinten und ich vorn – und alle beide sehen wir die Lollobrigida", erklärte ein Elektriker und Hundefreund. Verkäuferin Gerda schätzte den Bringdienst für die kulinarischen Genüsse: "Ein Knopfdruck genügt - wenn die grüne Lampe brennt, ein junger Mann vom Service rennt!"

Als in Deutschland die Autokinos boomten, war in den USA das Sterben der "Drive-Ins" schon in vollem Gange, vor allem wegen des Hungers nach Bauland in Stadtnähe und der Konkurrenz des Fernsehens. Am Marienberg zählte man 1998 rund 50.000 Besucher mit gleichbleibender Tendenz. In den besten Tagen waren es 2700 Personen an einem Abend. Die Jann-Betreiber-Gesellschaft war allerdings ebenso wie die Stamm- gäste entsetzt, als Schließungsgerüchte wegen des in einigen Jahren auslaufenden Pachtvertrags mit der Tucher’schen Stiftung aufkamen.

Raketen zum Abschied

Man hatte erst investiert: Neuer 7000-Watt-Filmprojektor, renoviertes Restaurant und eine Funktechnik, durch die der Filmton in Stereoqualität empfangen werden konnte. Außerdem hatte die umtriebige Jann-Werbe- und Filmbetriebs-GmbH das Recht als Erstaufführer den Filmverleihern abgetrotzt und mit Gebrauchtwagen- und Flohmärkten auf dem Kinogelände ein zweites Standbein geschaffen. Dennoch kam Ende 2002 das Aus am Marienberg. Nach fast 35 Jahren lief der letzte Film, "Die zwei Türme", der mittlere Teil der "Herr der Ringe"-Trilogie. "Auf dem Platz ertönte ein letztes munteres Hupkonzert" und ein paar Silvesterraketen stiegen in den Nachthimmel. Nostalgikern bleibt der Weg nach Aschheim bei München zum letzten bayerischen Autokino.