Hilflos gegen Stalking: Ein hoffnungsloser Fall in Nürnberg

3.4.2014, 05:56 Uhr
Dauernde Bedrohung: Stalking-Opfer fühlen sich oft selbst in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher. (Symbolbild)

© Kai Remmers/dpa/tmn Dauernde Bedrohung: Stalking-Opfer fühlen sich oft selbst in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher. (Symbolbild)

Natürlich ist Rechtsanwalt Hannes W. ein Profi und weiß, was er zu tun hat. Auf E-Mails reagiert er nicht; wenn Sarah B. anruft, legt er auf, und als die Frau (Namen der Betroffenen geändert) in seiner Kanzlei erschien, erteilte er ihr Hausverbot. Doch genützt hat ihm all dies nicht viel.

Die Geschichte begann Anfang der 90er Jahre. Nach einem Verkehrsunfall suchte die Frau anwaltlichen Rat, Hannes W. vertrat sie. Doch schon bald kam es zu „nicht überbrückbaren Differenzen“, wie sich der Anwalt erinnert. Er kündigte das Mandat.

Es folgten Briefe, teils wirr, oft beleidigend. W. hielt es aus. Dann ließ die Frau jahrelang nichts mehr von sich hören, im Jahr 2008 meldete sie sich plötzlich wieder und warf ihm massive Beleidigungen an den Kopf.

Nervig – aber ungefährlich

Als Anwalt weiß W., wie er vorgehen kann. Er weiß, dass er beim Amtsgericht eine Gewaltschutzanordnung beantragen könnte, die festlegt, dass sich Sarah B. ihm nicht nähern, keinen Kontakt aufnehmen darf. Er weiß, dass er alle Übergriffe dokumentieren muss. Er weiß, wie er sich verhalten muss, um Polizei, Staatsanwälte und Richter dazu zu bringen, seinen Fall ernst zu nehmen.

Doch als er im Jahr 2008 erstmals Strafanzeige erstattete, wurde das gegen Sarah B. eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt. Nun hat die Staatsanwaltschaft erneut die Akten geschlossen, denn die Frau leidet unter einer paranoiden Schizophrenie und ist daher schuldunfähig.

Damit kein Missverständnis entsteht: Hannes W. will keine psychisch kranke Frau stigmatisieren. Er weiß, dass die meisten psychisch Kranken eher zurückgezogen und kontaktscheu leben. Doch es gibt eben auch psychisch kranke Menschen, die nerven und anstrengend sind – aber nicht gefährlich. Deshalb, so meint auch W., wäre es übertrieben und unverhältnismäßig, würde Sarah B. zwangsweise in der Psychiatrie untergebracht. Möglich wäre dies ohnehin nur, würde sie sich oder andere gefährden. Doch W. weiß eben auch nicht mehr, wie er sich selbst helfen soll.

Er erzählte die Geschichte im Kollegenkreis – und erfuhr: Er ist nicht der Einzige, der unter Sarah B. leidet. Auch zwei andere Anwälte berichten, dass Sarah B. ihnen häufig unverständliche Schreiben und Unterwäsche schickt. Regelrecht geschäftsschädigend wurde es für die Anwälte, als aus ihren Kanzleibriefkästen die Post herausgezogen und in andere Briefkästen gesteckt wurde. Sie verdächtigten Sarah B., und einer der Anwälte suchte vor Jahren Hilfe beim Betreuungsgericht.

Er wurde an die Staatsanwaltschaft verwiesen, er solle eventuelle Schäden doch dort anzeigen. Darüber ärgert sich der Anwalt bis heute. Der richtige juristische Weg sei ihm bekannt, doch er hatte gehofft, dass Sarah B. ins Gewissen geredet würde, schließlich steht sie unter Betreuung.

Doch so einfach ist dies nicht: Steht jemand unter Betreuung, heißt dies nicht, dass derjenige „entmündigt“ wird. Vielmehr geht es darum, Menschen, die aufgrund einer seelischen, körperlichen oder geistigen Behinderung ihre eigenen Sachen nicht mehr selbst regeln können, zu helfen.

Für welche Aufgaben dies nötig ist – etwa die Vertretung bei Ämtern, bei finanziellen Angelegenheiten oder Sorge für die Gesundheit – legt das Gericht fest. Dies heißt aber nicht, dass Betreute wie Sarah B. zu tun und zu lassen haben, was ihnen gesagt wird. Weisungen, wie er seine Aufgabe zu erfüllen hat, kann das Gericht dem Betreuer nicht erteilen. Doch kann das Gericht, wie im Fall von Sarah B., Beschwerden an den Betreuer weiterleiten – schließlich geht es auch darum, Betreute vor sich selbst zu schützen „und sie davor zu bewahren, sich schadenersatzpflichtig zu machen“, wie Justizsprecher Michael Hammer betont.

Unterwäsche im Briefkasten

Seit 2011 erhält Hannes W. wieder nahezu täglich ungewollte Post: Eiskratzer, Präservative, gebrauchte Unterwäsche – all das landet im Kanzleibriefkasten und in seinem Gerichtsfach. Der Höhepunkt: Sarah B. forderte ihn auf, sie zu ihrem Frauenarzt zu begleiten. Er werde nun Vater.

Im Lauf des Jahres 2012 versuchte die Frau, ihn in der Kanzlei zu besuchen. Seit er ihr Hausverbot erteilt hat, spricht sie täglich auf den Anrufbeantworter seiner Kanzlei. Sie geriert sich als seine Ehefrau, Briefe unterschreibt sie mit seinem Nachnamen. W. versucht es mit Ignoranz.

Doch als das Türschloss der Kanzlei verklebt wurde und er eine Trauerkarte zu seinem eigenen Tod aus dem Briefkasten zog, erstattete er erneut Strafanzeige. „Der Ton wird immer schärfer“, schrieb er, er fürchte, dass Sarah B. „aus einem Hinterhalt Gewalt ausüben wird“. Seine Anzeige blieb erneut folgenlos. Eine „ernsthafte Gefahr“ sieht die Behörde nicht, eine Unterbringung in der Psychiatrie wäre unverhältnismäßig.

Erst vor wenigen Tagen erhielt W. ein Geburtstagsgeschenk samt Karte. Er hatte nicht Geburtstag. Unterschrieben hat „seine Frau“ Sarah.

2 Kommentare