Hochhäuser in Neuselsbrunn: Fertige Fassaden, doch der Streit geht weiter

20.8.2020, 05:48 Uhr
Endlich fertig: Die Montage der letzten Fassadenplatte an den seit 2018 lädierten Hochhäusern ist bei einem kleinen Festakt von den Bewohnern gefeiert worden.

© Foto: Michael Matejka Endlich fertig: Die Montage der letzten Fassadenplatte an den seit 2018 lädierten Hochhäusern ist bei einem kleinen Festakt von den Bewohnern gefeiert worden.

Dreck und Staub in jeder Tasse, beim Kaffeetrinken knirschte es zwischen den Zähnen. Presslufthämmer bohrten sich in die Fassade, Nässe und Schimmel in der Wohnung. Die letzten 22 Monate waren für die Bewohnerinnen und Bewohner von fünf Wohntürmen in Neuselsbrunn eine harte Zeit. Aus Brandschutzgründen wurden die Fassaden an insgesamt fünf Hochhäusern erneuert. Dienstagabend, kurz nach 18 Uhr, schauten rund 50 Bewohner der Hausnummer 53 zu, wie die letzte Aluminiumplatte montiert wurde. Die Großbaustelle ist weg, aber deshalb hat der Spuk noch lange kein Ende.

"Diesen Dreck und Lärm hätten wir nicht länger ausgehalten." Hildegard Mayer kaufte vor über 40 Jahren die Wohnung in der Nummer 53. Ihr Ehemann ist pflegebedürftig, er musste die Baustelle direkt hinter den Wänden der Wohnung im ersten Stock pausenlos ertragen. Die Reste der alten Fassade krachten wochenlang durch die Abwurfschächte direkt vor den Fenstern in die Müllcontainer.

"Es ist einfach eine große Erleichterung, dass jetzt Ruhe ist"

Im Oktober 2018 hatten Arbeiter damit begonnen, die Fassade abzureißen. Es folgte ein Winter mit nackten Außenmauern, "hinterher hatten wir eine total verschimmelte Wohnung", sagt Hildegard Mayer. Vielen Nachbarn erging es so.

Ingenieur Ulrich Wagner, dem selber einige Wohnungen in den fünf Hochhäusern gehören, lud zu einem kleinen Fest auf die Wiese neben der Nummer 53 ein. Bierbänke, Getränke aus der Flasche – rund 50 Bewohner sind gekommen. "Es ist einfach eine große Erleichterung, dass jetzt Ruhe ist, und fürs Auge ist es gut, dass der Dreck weg ist", sagt Waltraud Wellein, die seit 17 Jahren hier wohnt.


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Bevor die letzte Aluminiumplatte festgeschraubt wird, erinnert Ulrich Wagner an die Dramatik der Baustelle. "Sie kam aus heiterem Himmel und es war die schnellste Fassadenerneuerung, die ich je erlebt habe." 350 Kilogramm Aluminium wurden an den fünf Hochhäusern verbaut sowie über 600.000 Schrauben, Dübel und andere Teile.

50.000 Euro musste jeder für die neue Fassade zahlen

Wagner ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, gegen die frühere Hausverwaltung, die Vonovia Immobilientreuhand (VIT), zu sticheln. "Mit ihr wären wir jetzt noch nicht so weit." Die VIT hatte 2018 den sofortigen Abriss der Fassade beschlossen, betroffen waren 390 Wohnungen. Nach einer Brandschutzprüfung galt die Dämmung der Wohntürme – Styropor, eingebaut in Hartfaserplatten – als leicht brennbar. Die städtische Bauordnungsbehörde fordere ein rasches Handeln, hieß es bei Vonovia. Auch in Nürnberg hätten damals viele noch die Brandkatastrophe von 2017 im Londoner Grenfell Tower vor Augen gehabt, sagt Wagner. Gehandelt worden sei dann völlig übereilt und dilettantisch.

Tatsächlich stellte später, als sich einige der Wohnungseigentümer einen Anwalt gesucht hatten, ein Gutachter fest, dass der Fassadenabriss nicht nötig gewesen wäre. Und die VIT war aufgrund von Formfehlern auch niemals ordentlich als Hausverwalterin bestellt gewesen, weshalb das Amtsgericht Nürnberg entschied, dass der Beschluss zum Abriss nicht rechtmäßig war.


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Damit nicht genug, hat Klaus Kratzer, der Anwalt der Eigentümer, inzwischen seine Zulassung verloren. Jetzt kämpft eine neue Kanzlei darum, dass die Eigentümer von der VIT Schadensersatz bekommen. Rund 50.000 Euro musste jeder für die neue Fassade zahlen, viele schafften das nicht ohne Kredit. Darunter seien Nachbarn, die schon 80 Jahre alt sind und gar nicht wissen, ob sie den Kredit jemals abgezahlt bekommen, erzählt Hildegard Mayer.

Dass die Gesamtkosten mit rund 19 Millionen Euro im Rahmen blieben, sei da nur ein kleiner Trost. "Wir hoffen weiter, dass die Vonovia haftet und wir Geld zurückkriegen", sagt Hildegard Mayer, "aber das wird bestimmt noch ein zäher Prozess."

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