Idyllisch und verstörend schön: Rundgang durch die Kunstvilla

13.5.2014, 05:57 Uhr
Bunte Welten erwarten Interessierte ab dem 24. Mai in der Nürnberger "Kunstvilla".

© Michael Matejka Bunte Welten erwarten Interessierte ab dem 24. Mai in der Nürnberger "Kunstvilla".

Die Frau hatte jahrelang im obersten Stockwerk gewohnt, der Mann war oft weg auf Montage, bewacht wurde sie von ihren zwei Hunden. In einigen Nächten hörte sie Menschen, die unten in den stockfinsteren Lagerräumen wisperten oder sich im Schlaf wälzten. Es muss gespenstisch gewesen sein, damals in den 1980er Jahren: Die denkmalgeschützte Villa war nicht abgeschlossen, nur der Betriebsarzt und der Hausmeister des gegenüberliegenden Presssehauses waren manchmal anwesend.

Die Erinnerungen der Frau, die unter dem Dach lebte, inspirierten Lisa Hartmann zu der Installation „Das Wiederfräulein erzählt“: eine Sitzbank mit fransigen Teppichstücken, zwei Hunde aus Keramik und struppiger Wolle, Kakteen aus Nägeln und Bauschaum. Das alles stellte die Kunststudentin auf den Balkon im ersten Stock – damals Rückzugsort der Bewohnerin, heute eine Reminiszenz an eine vergangene Zeit.

Überhaupt ist die Geschichte in der herrschaftlichen Villa, die 1894 vom jüdischen Ehepaar Emil und Elisabeth Auguste Hopf errichtet wurde, überall zu spüren und zu sehen. Dazu gehören die Holzkassettendecke im Erdgeschoss, die Stuckverzierungen, das restaurierte Zwergenzimmer im Dachgeschoss. In diesen vergangenheitsschwangeren Räumen wird das Publikum ab dem 24. Mai sehen, wofür in Nürnberg lange kein Platz mehr war – außer in oft zu feuchten Katakomben.

90 Prozent der rund 120 Werke sind daher durch die Hände von Restauratoren gegangen, erzählt die Leiterin der „Kunstvilla“, Andrea Dippel. Regionale Kunstgeschichte soll auf 600 Quadratmetern Ausstellungsfläche präsentiert, vermittelt und erforscht werden: Raum für Künstler, deren Geburts- oder Todesort in Franken ist, die hier studiert haben oder einen thematischen Bezug zur Region vorweisen. Dippel schafft es, diesen Vorgaben die Schwere und den Ernst zu nehmen.

Das zeigt sich etwa am Treppengeländer aus dunkler Eiche. Auf den ersten Blick vor allem prächtig, offenbart sich bei genauerem Hinsehen ein Wunderkabinett menschlicher Einfälle. 79 Holzfigürchen passte der Künstler Felix Boekamp in die Verzierungen des Geländers ein: ein Stern, ein Pfeil, eine Büste, ein männliches Gemächt. Häftlinge in U-Haft haben sie geschnitzt, die Männer aus der JVA in der Bärenschanzstraße hatten bei der Motivwahl alle Freiheiten. Und im Zwergenzimmer unter dem Dach, das seinen Namen der lindgrünen Zwergenzeichnung an der Wand verdankt, hat Isabell Enders Puppenherde aus Metall aufgestellt. „Alles wird gut“ nennt sie ihre Installation. Bei den Gemälden dagegen ist die Laufrichtung eine gegensätzliche.

Im Erdgeschoss wähnt sich der Betrachter in Sicherheit, wenn er Gemälde wie „Marienberg im Schnee“ des Nürnbergers Andreas Gad sieht, „Morgen am Königstor“ von Wolfgang Jäger, oder Bilder, bunt und manchmal postkartenschön. Steigt er die Treppe nach oben, bricht Toni Burgharts Hitler-Bild die Reihe der Selbstporträts der Künstler auf und bereitet darauf vor, was erwartet werden darf: Kunst, die berührt und vielleicht verstört. Dazu gehört „Holocaust“ des Unterfranken Franz Vornberger, aber auch die aschebestreute Leinwand „Adamah“ des Nürnberger Werner Knaupp. Auch ein Michael Mathias Prechtl ist zu sehen – die städtische „Kunstvilla“ ist schließlich nicht der Rathaussaal, in dem Prechtls Entwurf damals keinen Platz fand.

Die letzten Werke kommen bis zum 15. Mai nach Nürnberg, es folgen noch drei Projektionen von Kunststudenten. Spätestens am 24. Mai ist dann sichtbar: Die fränkische Kunst lebt. Mit der Vergangenheit, in der Zukunft.

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