Immer mehr Arme zieht es von Osteuropa nach Nürnberg

11.3.2013, 09:45 Uhr
Immer mehr Arme zieht es von Osteuropa nach Nürnberg

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Wenn um 18.00 Uhr die Nürnberger Notschlafstelle an der Großenweidenmühlenstraße öffnet, fühlen sich einheimische Obdachlose schon mal wie in Sofia, Warschau oder Bukarest. Denn statt des fränkischen Dialekts dominieren hier seit rund zwei Jahren vor allem die Sprachen Polnisch, Bulgarisch und Rumänisch. Die meisten, die hier am frühen Abend für ein Bett und eine Dusche anstehen, hat die Sehnsucht nach einem besseren Leben aus ihren osteuropäischen Heimatländern nach Nürnberg gelockt - ohne Geld und Arbeit landen manche aber bald schon im städtischen Obdachlosenasyl.

Allein im vergangenen Jahr haben in der Notschlafstelle 40 Bulgaren, 100 Rumänen und 50 Polen um ein Nachtquartier gebeten, berichtet Leiter Peter Mertel. Viele der Armutszuwanderer sind bei Mertel und seinem Team inzwischen Dauergast. Das hat die Zahl der Übernachtungen im vergangenen Jahr kräftig in die Höhe getrieben: 2012 gingen von den insgesamt 6200 Übernachtungen in der Notschlafstelle allein 3600 auf das Konto von Obdachlosen mit ausländischem Pass - zumeist Polen, Bulgaren und Rumänen.

Längst ist Armutszuwanderung auch ein Thema der Nürnberger Stadtpolitik - wenn auch längst nicht in dem Maße, wie etwa in Dortmund, Duisburg oder im hessischen Offenbach, wie Sozialamtschef Dieter Maly klarzumachen versucht. Nürnberg sei sicher kein Schwerpunkt der Armutszuwanderung, betont er. Trotzdem trete das Phänomen in der fränkischen Großstadt «in nicht vernachlässigbarem Maße auf», formuliert der Bruder von Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD).

Die Zahlen sprechen für sich: Waren noch im Jahr 2009 gerade mal 723 Bulgaren offiziell in Nürnberg gemeldet, stieg ihre Zahl bis Mitte Februar auf 2183. Die Zahl der in Nürnberg gemeldeten Polen hat sich seit 2009 von 3680 auf knapp 5100 erhöht, die der Rumänen von 1987 auf 4837. Vor allem in den letzten beiden Jahren hat der Zuzug stark zugenommen. Dass das wohl nur die Spitze eines Eisbergs sei, räumt auch Dieter Maly ein. «Es gibt eine Dunkelziffer von Leuten, die sich hier als Tourist aufhalten. Doch die kennt keiner.»

Über die womöglich mehreren tausend Bulgaren und Rumänien, die in Nürnberg ihr Leben fristen, wissen auch die Behörden kaum etwas. «Die Menschen haben weder Anspruch auf Sozialleistungen noch auf Hartz IV. Und arbeiten dürfen sie nur nach einem Antrag bei der örtlichen Arbeitsagentur - und auch nur, wenn sich für den Job kein passender deutscher Bewerber findet. Diese Leute tauchen bei keinem Amt auf», weiß Maly. Viele hielten sich als Schwarzarbeiter in Baukolonnen, als Verpacker oder Verladearbeiter über Wasser. Sie wohnten mit Landleuten teils in Abbruchhäusern - zu horrenden Mietpreisen.

Ein großes Problem sei die Armutswanderung für die Stadt dennoch nicht. «Viele fallen überhaupt nicht auf. Wir haben in Nürnberg keine nennenswerte Steigerung weder bei den Armutsdelikten noch bei der Bettelei», berichtet Dieter Maly. Probleme gebe es lediglich hin und wieder mit Kindern. «Unlängst hatten wir einen Fall, wo eine Zehnjährige mit fünf Erwachsenen - darunter drei Männern - in einem Zimmer lebte. Da mussten wir einschreiten, das waren keine zuträglichen Zustände für das Mädchen.» Die Zehnjährige sei in eine Kindernotwohnung gebracht worden. Für die nicht eben geringen Kosten muss die Stadt aufkommen.

Zusätzliche Kosten drohen der Stadt wohl auch bei den Notschlafstätten. Obwohl Stadt, die Heilsarme und die Caritas in ihren Notschlafstellen die Gesamtzahl der Betten um 30 auf nun 70 aufgestockt haben, waren alle drei Asyle im vergangenen Winter oft überfüllt. Die Stadt denkt nun über die Schaffung einer eigenen Notschlafstätte für Zuwanderer aus Osteuropa nach. «Wir gehen davon aus, dass das so schnell nicht aufhören wird», schätzt der Chef der städtischen Sozialbehörde. Dort solle dann auch ein bulgarisch und rumänisch sprechender Mitarbeiter als Ansprechpartner eingesetzt werden, der ungeschminkt auf die geringen Perspektiven hinweisen und auch über Rückkehrmöglichkeiten informieren soll.
 

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