Inzest mitten in der dörflichen Idylle

15.10.2014, 07:59 Uhr
Inzest mitten in der dörflichen Idylle

© Foto: privat

Frau Rubin, Charlotte Brown erlebt in Ihrem Krimi „Kaltes Dorf“ ihr drittes Abenteuer und gehört damit zum Inventar der Frankenkrimi-Szene. Sie selber wohnen seit 1977 in München, wie oft sind Sie noch in Ihrer Geburtsstadt Nürnberg?

Billie Rubin: Ein- bis zweimal im Monat besuche ich meine Mutter. Sie wohnt in der Südstadt, da bin ich aufgewachsen. Und ich mag die Gegend um die Wölckernstraße immer noch. Es ist wie Klein-Istanbul und mir gefällt das Flair, es hat etwas Heimeliges. Ich habe außerdem ein Herz für Underdogs, Charlotte Brown übrigens auch.

Die wohnt ja ebenfalls in der Südstadt.

Rubin: Ja, in der Ammanstraße, gleich in der Nähe des Aufseßplatzes. Wenn ich in Nürnberg bin, gehe ich gern einen Umweg an Charlottes Wohnung vorbei, um mitzukriegen, was da so abgeht.

Ihr aktueller Krimi spielt im Knoblauchsland. Das etabliert sich immer mehr als Ort für kapitale Verbrechen. Autor Jan Beinßen brachte dort die hübsche Tochter eines Gemüsebauern um die Ecke. Susanne Reiche vergiftete unweit der Lauchäcker einen prominenten Baulöwen. Sie lassen in der Nähe des Bio- Bauernhofs, auf dem sich Charlotte erholt, einen Inzest geschehen. Was hat Sie an Nürnbergs großem Gemüsegarten als Tatort gereizt?

Billie Rubin: Als ich vor drei Jahren von dem Inzestfall in der fränkischen Provinz gelesen habe, bei dem ein Vater drei Jahrzehnte lang mit seiner Tochter geschlafen hatte, interessierte mich das Thema. Mir war auch klar, dass die Geschichte auf dem Land spielen muss, um zu zeigen, wie gerade in engen sozialen Geflechten bei Verbrechen gern mal weggeschaut wird. Da war der Weg zum Knoblauchsland nicht mehr weit, denn im Dunstkreis von Nürnberg wollte ich unbedingt bleiben.

Wie haben Sie für „Kaltes Dorf“ recherchiert?

Rubin: Ich war ein Wochenende im Knoblauchsland unterwegs, habe mir Höfe angesehen und viele Fotos gemacht. Leider habe ich erst später von der Trauermückenplage in Kraftshof erfahren. Damit hätte ich das schwere Thema Inzest etwas abschwächen und etwas Humoristisches einbringen können.

Waren Sie als Kind mit Ihren Eltern im Knoblauchsland?

Rubin: Wir haben öfter Bekannte von meinen Eltern in Neunhof besucht. Da gab es immer Zuckernudeln mit Apfelmus – ich erinnere mich noch gut an die Wespen, die das Süße anlockte.

Charlotte Brown hat bereits im Umfeld des 1. FC Nürnberg als Bodyguard gearbeitet, außerdem beschützte sie einen iranischen Schriftsteller.

Rubin: Auf die Idee mit dem iranischen Autor kam ich, nachdem ich gelesen hatte, dass die iranische Publizistin Mansoureh Shojaee als PEN- Stipendiatin nach Nürnberg kommen sollte. Und dem Club kann man sich auch als Außenstehende, die nicht in Nürnberg lebt, gut nähern. Zumal ich Fan bin und versuche, in München die Fahne für den Club hochzuhalten.

Es gibt ja inzwischen eine Flut an Franken-Krimis. Wie sind Sie dazu gekommen, sich von München aus schriftstellerisch wieder Ihrer Geburtsstadt zuzuwenden?

Rubin: Ich schreibe auch Kinderbücher und zweisprachige Krimis in Deutsch und Englisch. Als mein Verleger vor Jahren um einen München-Krimi bat, hatte ich keine Zeit dafür. Später bot ich ihm dann an, lieber über Nürnberg zu schreiben. Das eignet sich meiner Meinung nach nämlich besser für Regionalkrimis, weil es überschaubarer ist als München.

Der Erfolg gibt Ihnen recht. Einen vierten Charlotte- Brown-Fall haben Sie bereits in Arbeit. Kennt man sich in der fränkischen Krimi-Szene eigentlich untereinander?

Rubin: Ich verfolge, welche Themen in den anderen Franken-Krimis auftauchen, aber ich komme kaum dazu, sie zu lesen. Ich habe zu den anderen Autoren wenig Kontakt, man trifft sich auf Lesungen oder schickt sich Mails.

Was fasziniert Sie an Krimis besonders?

Rubin: Mich interessiert das psychologische Moment, wie Menschen auf Verbrechen reagieren. Und ein Hauch von Sozialkritik ist bei mir auch dabei.

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