Ist Völkerball grausam? Das sagen jetzt Nürnberger Experten

9.7.2019, 14:55 Uhr
Ist Völkerball grausam? Das sagen jetzt Nürnberger Experten

© Ftoo: Armin Weigelt

Für manche Schüler ist schon die Aufstellung der Mannschaft Folter – und das nicht nur beim Völkerball. Jeder will die Supersportler im Team haben. Auf der Reste-Rampe bleiben die Schwachen übrig, die der Lehrer verteilen muss. Dann heißt es, möglichst geschickt dem Ball auszuweichen, den der Werfer Richtung Mitschüler donnert. Wer die Kugel schon mal an den Kopf bekommen hat, spürt den Schmerz womöglich heute noch. Es gibt aber auch Kinder, die Völkerball mögen, gerade weil nicht unbedingt die Schnellsten und Stärksten gewinnen. Es kommt auch auf Wendigkeit an. In den sozialen Medien wurden zum Thema seitenweise Kommentare hinterlassen. Völkerball spaltet offenbar die Nation.

Max Müller, Hockey-Olympiasieger aus Nürnberg, bekennt ganz offen: Er hat in seiner Schulzeit gerne Völkerball gespielt. "Dafür habe ich mich am Reck eher doof angestellt", sagt der sportpolitische Sprecher der CSU-Stadtratsfraktion. Für ihn sei wichtig, dass Kinder beim Sport lernen, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Aber auch zu akzeptieren, dass es Stärkere und Schwächere gibt. "Das ist beim Volleyball oder Fußball nicht anders."

 

Für Harald Schmidt, den Leiter der Bertolt-Brecht-Schule, ist Völkerball "vollkommen überholt". "Viele Kinder leiden unter Bewegungsmangel. Beim Völkerball wirft einer und die anderen stehen die meiste Zeit und sehen den Ball nur aus der Ferne." Als begeisterter Sportler und Chef einer Eliteschule des Leistungssports sieht er ganz andere Möglichkeiten, Kinder in Bewegung zu bringen. "Man kann sicher mal Völkerball spielen, wenn man kurzfristig einen Kollegen vertreten muss." Aber generell sei das Spiel nicht zeitgemäß. Schmidt hofft, dass mit der Einführung des neuen neunjährigen Gymnasiums die Kinder wieder mehr Zeit haben, in Sportvereinen aktiv zu sein. "Wir haben in Nürnberg ein hervorragendes Vereinsangebot. Sport tut immer gut, nicht nur physisch, sondern auch psychisch."

"Pädagogisch nicht wertvoll"

Als "pädagogisch nicht wertvoll" bezeichnet Nasser Ahmed, das Völkerballspiel. Der sportpolitische Sprecher der SPD-Rathausfraktion ist ein begeisterter Fußballer. Auch er ist in seiner Schulzeit mit Völkerball "gequält" worden. "Es gibt so viele tolle Sportarten mit dem Ball. Aber Völkerball kann schon grausam sein."

Eine Forschergruppe der University of British Columbia hatte kürzlich auf einer Konferenz harsche Kritik am Völkerball-Spiel geübt. Die Botschaft sei, dass es in Ordnung ist, anderen wehzutun, monierten sie. "Völkerball ist legalisiertes Mobbing", findet die Professorin Joy Butler, nachdem sie gemeinsam mit einem Forscherteam eine Studie zum Sportunterricht erstellt hat.

Mobbing? "Dem können wir nicht zustimmen" 

Gefragt ist bei dem Thema auch die Meinung des Sportpädagogen Ralf Sygusch, der an der Universität Erlangen-Nürnberg lehrt. Er hält das Spiel unter bestimmten Voraussetzungen für vertretbar, nämlich dann, wenn im Sportunterricht auch über die sozialen Aspekte des Spiels gesprochen wird. Wenn jemand mobben wolle, dann finde er auch andere Möglichkeiten, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Zwar sei Völkerball sehr emotional und biete daher das Potenzial zum Mobbing. "Aber das bewusst zu machen, zu sozialer Verantwortung zu erziehen, das ist hier eigentlich die Aufgabe der Lehrkraft." Geäußert haben sich zum Thema auch jene, die es aktuell betrifft – die jungen Leute. Für sie spricht der Landesschülerrat: "Dem Vorwurf, dass Völkerball legalisiertem Mobbing gleichzusetzen ist, können wir nicht zustimmen. Es liegt in der Verantwortung der Lehrkräfte, für ausgeglichene Teams zu sorgen, so dass keine Schülerin oder kein Schüler benachteiligt wird", sagt Stefan Lindauer, der Sprecher des Schülerrats.

Wichtig ist den Jugendlichen ein Mitspracherecht: "Wir sind der Meinung, dass die Gestaltung des Sportunterrichts in Zusammenarbeit von Lehrern und Schülern geschehen soll. Kommunikation und Teamfähigkeit sind im Sportunterricht unerlässlich."

Was das leidige Ritual der Mannschaftsaufstellung angeht: Da gibt es auch andere Methoden, als die Mitschüler einzeln aufzurufen und diejenigen ewig warten zu lassen, die nicht eben zu den Sport-Assen gehören. Harald Schmidt zum Beispiel schlägt ein Losverfahren vor. Und das ist nicht nur auf Volleyball anwendbar.

25 Kommentare