Jobs nicht mehr gefragt: Das Handwerk wirbt schon in der Kita

1.10.2019, 05:47 Uhr
Jobs nicht mehr gefragt: Das Handwerk wirbt schon in der Kita

© Foto: Falk Heller/Aktion modernes Handwerk (amh)

Ein Kfz-Mechaniker, der sich mit ölverschmierten Händen über die Motorraum beugt? Nicht nur dieses Berufsbild hat sich gründlich gewandelt. Aus dem Mechaniker ist dank Digitalisierung längst der Mechatroniker geworden, der mit Bordcomputer und Hybridtechnologie zu tun hat. Für Elektroniker ist das Thema Smart Home zentral geworden. Und Zahntechniker arbeiten inzwischen eher mit Cad/Cam-Verfahren als mit Säge und Handfräse.

Der Wandel in vielen Handwerksberufen ist tiefgreifend – aber in
den Köpfen der meisten Eltern noch nicht angekommen, sagt Matthias Braun. Nach wie vor sähen viele Väter und Mütter das Abitur als allein selig machendes Ziel für ihre Sprösslinge. Unabhängig davon, ob die Anlagen und Interessen der Kinder vielleicht ganz woanders liegen.

Gute Handwerker werden rarer 

In der Konsequenz hat das Handwerk erhebliche Nachwuchsprobleme. Vor 20 Jahren bestanden in den mittelfränkischen Betrieben noch mehr als 4000 Ausbildungsverhältnisse, sagt Braun, der die Abteilung Berufsbildung- und Prüfungswesen der HWK Mittelfranken leitet. Heute sind es im Schnitt gerade noch 3000 Verträge. Die Folge: Gute Handwerker werden zunehmend rarer, und "Meister sind auf dem freien Markt kaum noch zu finden", so Braun, weil große Firmen sie als Betriebsleiter abfischen. Selbst die Handwerkskammer hat inzwischen Probleme, Meister für ihren Ausbildungsbereich zu finden.

Schon Dreijährige dürfen Hand anlegen

Wie also gegensteuern? Durch haptisches Erleben, lautet eine der HWK-Strategien. Denn viele Kinder seien heute so reglementiert, dass ihr Erfahrungshorizont sehr eingeschränkt sei, berichtet Berufsbildungs-Experte Braun. Also versucht die Kammer, dies bereits ab dem Kindergartenalter aufzubrechen. Einen ersten Zugang sollen Wimmelbücher in den Kindergärten eröffnen, die die Kleinen entdecken lassen, welche handwerklichen Berufe es so gibt.

Im Bildungszentrum der Handwerkskammer dürfen die Drei- bis Sechsjährigen selbst Hand anlegen. Holz, Metall, Stein – unter der Anleitung von Auszubildenden gibt es für die Kids viel zu entdecken. Und sie sind in diesem Alter absolut offen und interessiert, berichtet Matthias Braun.

 

 

 

Mittelschülern (fünfte bis neunte Klasse) bietet die Kammer eine Schülerbaustelle an. Hier geht es um die Arbeit mit verschiedenen Materialien und Techniken und darum, die eigenen handwerklichen Fähigkeiten auszuprobieren. Für Gymnasiasten veranstaltet die Kammer Mitmach-Aktionen – von Lasieren mit Blattgold über Mosaike aus Fliesenscherben bis hin zum Fahrrad-Fit-Kurs. Die grundlegende Idee lautet, die jungen Menschen viele Berufe erleben zu lassen und ihnen dabei zu vermitteln, wie viel Spaß ein handwerklicher Beruf bereiten kann.

"Offen für alles" 

Dazu gehört aber auch eine enge Zusammenarbeit mit Grundschul-Lehrkräften zum Thema Übertrittsberatung. Denn die Entscheidung in der vierten Klasse, wohin der weitere Schulweg führen soll, ist für Zehnjährige einfach noch sehr früh, findet Braun. In diesem Alter seien Kinder eigentlich "offen für alles". An die Eltern appelliert Braun deshalb, die Erfahrungswelt ihrer Kinder möglichst nicht einzuschränken, sondern gemeinsam mit den eigenen Kindern die Augen zu öffnen, Vorurteile zu revidieren und sich die modernen Berufsbilder des Handwerks anzusehen. "Wir möchten mit den Eltern ins Gespräch kommen, um ihnen die Angst zu nehmen, dass nur das Abitur der richtige Weg ist, sagt der Berufsbildungs-Experte.

Zumal viele Betriebe nur zu gerne Realschüler beruflich ausbilden würden – aber keine bekommen, weil die meisten Realschüler handwerkliche Berufe nicht annähmen. Stattdessen müssten die Firmen Azubis ohne Schulabschluss nehmen, von denen nicht wenige trotz aller Nachhilfe über kurz oder lang im Betrieb scheiterten. Daher denkt die Handwerkskammer inzwischen darüber nach, wie man angelernte Kräfte in Betrieben so nachqualifizieren könnte, dass sie anschließend dazu in der Lage sind, eine berufliche Ausbildung erfolgreich zu absolvieren.

Abiturienten sind auch gefragt 

Auch für Abiturienten bietet das Handwerk Karrierechancen, unterstreicht Braun. Zum Beispiel mit einem Verbundstudium, das einen Handwerksberuf (etwa Maurer) mit einer universitären Ausbildung (z.B. Bauingenieur) verbindet. Solche Möglichkeiten bestehen in vielen Bereichen, im Metallbau, in der Kunststoffverarbeitung, ja selbst im Bäcker-Handwerk, dass sich mit einem ernährungswissenschaftlichen Studium verbinden ließe. Absolventen könnten am Ende zum Beispiel als Unternehmensberater (etwa für Bäcker) tätig sein.

Handwerkliche Berufe stellen also längst keine Einbahnstraße mehr dar, sagt Matthias Braun. Auch als Handwerksmeister kann man noch ein Studium aufsetzen, es gibt das Berufsabitur für Schulabbrecher nach der zehnten Klasse, und die "Berufsschule plus" ermöglicht es, leistungsfähigen Azubis, parallel zu ihrer beruflichen Ausbildung, die Fachhochschulreife zu erlangen.

Jungen Menschen rät Braun deshalb neugierig zu sein, auszuprobieren, schnuppern zu gehen. "Nicht jeder muss studieren, um ein glückliches Leben zu führen."

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