Judenhass greift um sich: Bayern will gegensteuern

6.10.2020, 06:00 Uhr
Ludwig Spaenle (CSU), Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, spricht bei einer internationalen Gedenkfeier für die Überlebenden des Holocaust im Jüdischen Zentrum München.

© Angelika Warmuth, dpa Ludwig Spaenle (CSU), Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung, spricht bei einer internationalen Gedenkfeier für die Überlebenden des Holocaust im Jüdischen Zentrum München.

Ein Büro in einem Finanzamt in Bayern. Der Sachbearbeiter wird sich nicht einig mit dem Ehepaar, das gekommen ist. Irgendwann sagt der Beamte: "Ihnen ist schon klar, was früher mit Leuten wie Ihnen passiert wäre?" Das Ehepaar ist jüdischen Glaubens. Ludwig Spaenle erzählt diesen Vorfall in der gelassen-oberbayerischen Art, in der man ihn noch als Kultusminister gut in Erinnerung hat. Nach der Landtagswahl 2018 berief ihn Markus Söder zum Antisemitismus-Beauftragten der Staatsregierung. Die Gelassenheit ist bei Spaenle seither eher äußerlich.


Zahl der antisemitischen Straftaten in Bayern deutlich gestiegen


Fälle von Alltags-Antisemitismus kennt der Beauftragte inzwischen zur Genüge. Was ihn umtreibt: Die Coronakrise habe das alte Phänomen des Sündenbocks, der für alle Katastrophen herhalten muss, einmal mehr belebt. "Zuerst war Gates Schuld am Coronavirus, nun Israel, das an einem Impfstoff angeblich verdienen will."

Aufklärungsarbeit für Schulen

Gemeinsam mit der Landeszentrale für politische Bildung will Spaenle in seinem Amt die Ressentiments gegen Juden "in der Fläche" bekämpfen. Bei einem Pressegespräch hat Spaenle ein Heft der Landeszentrale mitgebracht. Zum Thema Antisemitismus ist es im August erschienen. Entstanden aus einem Diskussionsforum der Landeszentrale im Internet wird das 87-Seiten-Heft an alle Schulen in Bayern verteilt. Zielgruppe: Lehrer und Schüler. Autoren: renommierte Antisemitismus-Forscher sowie Künstler.

Doch mit Landeszentralen-Direktor Rupert Grübl ist Spaenle sich einig: Broschüren alleine können in Zeiten des Internets den Antisemitismus nicht bekämpfen. "Das reicht nicht", sagt Rupert Grübl, der auf einen eigenen Youtube-Kanal der Landeszentrale hinweist. "Ganz konkret" heißt der und klärt nicht nur über Antisemitismus auf, sondern über Spielarten von Extremismus oder Verschwörungstheorien in Zeiten von Corona. Mit Abrufzahlen um die 15.000 ist Grübl ganz zufrieden. "Mit einem Schmink-Video, das fünf Millionen Menschen erreicht, wollen wir gar nicht konkurrieren." Söder Antisemitismus-Beauftragter Spaenle gibt sich keinen Illusionen hin: "Sie können dem Irrsinn nur entgegentreten, Sie können ihn nicht beseitigen."

Zur Vorstellung des Heftes mitgekommen ist Jo-Achim Hamburger. Der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg ist skeptisch. "Ich weiß nicht, ob wir alle Jugendlichen erreichen." Anfangs hat Hamburger das Gespräch noch mit Humor und einem Beispiel für jüdische Witze begonnen, später wird er sich über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland empören "nicht nur von der rechten Seite und der AfD, sondern auch von der linken Seite". Zu deren ausgesprochenen "Israel-Kritikern" käme inzwischen der Antisemitismus aus arabischen Ländern, der nach Deutschland hineingetragen werde.

Mit sozialen Medien möglichst viele Menschen erreichen

Spaenle und Grübl setzen auf "verschiedene Formate" beim Kampf gegen Antisemitismus, anspruchsvolle Hefte ebenso wie die niederschwelligen Videos und Twitter. Den "Apparat" müsse man außerdem nutzen, um möglichst viele Menschen in Bayern zu erreichen, sagt Spaenle. Damit meint er die ehrenamtlichen Organisationen und Vereine, die mit aufklären soll, nicht nur immer Schulen und Lehrer.

Vor einem Jahr hatte der Beauftragte einen ersten Erfolg seiner Strategie gemeldet die er sofort nach seiner Berufung 2018 begonnen hat: 60 Vereine und Organisationen hatten sich bereit erklärt, eine internationale Definition von Antisemitismus anzunehmen. "Ein europaweit einmaliges Vorgehen" sei diese Zusammenarbeit sagte Spaenle seinerzeit. Weiterhin sieht Spaenle in dieser breiten Basis die größten Chancen, in die er Sportvereine ebenso einbezieht wie Imkerverband, Jagdverband und das Jugendherbergswerk. Hauptsache für ihn: Möglichst vielen Menschen klar machen, was Antisemitismus bedeutet.

"Das gibt es nicht mehr"

Rupert Grübl plant mit dem Antisemitismus-Beauftragten das nächste Heft, mit "positiver" Ausrichtung. Es soll zeigen, wie vielfältig das jüdische Leben in Bayern war und ist. Neben der Erinnerung an die Verfolgung, müsse der Beitrag zu Wirtschaft, Kultur und Politik gewürdigt werden. 2021 soll gar ein ganzes Erinnerungsjahr werden. Titel: "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland": Anlass ist die erste urkundliche Erwähnung einer jüdischen Gemeinde in Köln im Jahr 321.

Mehr als 2000 Mitglieder hat die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Nürnberg heute wieder. Die Zahl täusch, sagt IKG-Vorsitzender Hamburger. "98 Prozent" seien inzwischen russischsprachig, der Zuzug aus den ehemaligen Sowjetrepubliken hat die jüdischen Gemeinden in ganz Deutschland zahlenmäßig gestärkt. Doch eben nur nach Zahlen, weil viele keinerlei Beziehung zu ihrer Religion haben. "Das deutsche Judentum, wie es es einmal gab, das gibt es nicht mehr", sagt Hamburger. Für ihn ist zugleich klar: "Wenn der Antisemitismus wieder Fuß fasst, dann geht die Demokratie flöten."

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