Junge Künstler nähern sich dem nackten Leben an

16.5.2013, 08:45 Uhr
Junge Künstler nähern sich dem nackten Leben an

© Harald Sippel

Die Ameisen kamen per Post. Ihre Behausung ebenfalls: Ein türkisfarbener Zuckerschaumblock, wie ihn bereits die NASA bei Weltraumexperimenten mit den Krabbeltieren erprobt haben soll. Dass es gestern im Glas-Schacht des Untergeschosses im Zumikon ebenfalls munter zu wuseln begonnen hatte, ließ Künstlerin Marie Jeanne Turnea-Luncz jedenfalls auf raschen Nachwuchs bei den Tierchen hoffen. So könnte Kunst fruchten.

Doch Kunst, Natur oder Naturwissenschaft – wer kitzelt hier wen? Tatsächlich zählen zur Vita der 1980 in Fürth Geborenen bereits Semester in Biologie, in Bauhaus-Architektur sowie ein abgeschlossenes Studium an der Akademie in Nürnberg: „In der Kunst kann ich zusammenbringen, was mir biografisch passiert ist“, sagt Turnea-Luncz, die überdies ein Händchen fürs Bastlerische beweist. Indem sie Pflanzenkunst-Gestecke nach der Ikebana-Lehre aus Papier nachbaut, sucht sie das Spannungsfeld zwischen Natur und Nachbildung.

Dass Naturphänomene aus verkleinerten Kopien ihrer selbst bestehen können – so genannten Fraktalen – , liegt dann auch der Idee von einer Lichtprojektion zugrunde. Dabei illuminiert Turnea-Luncz einen Bonsaibaum, dessen Muster sich als Schatten auf- und abbauen. Klingt verkopft. Wird aber durch ein sinnliches Lichtspiel filigran vor Augen geführt.

Dicker trägt die Künstlerin dagegen im Zumikon-Obergeschoss auf. Hier hat sie eine Riesenwelle als aufblasbares Plastikobjekt nachgeformt. Dass es sich ebenfalls um ein Fraktal handelt – eine vergrößerte Nachbildung aus Katsushika Hokusais Holzschnitt „Große Woge vor der Küste von Kanagawa“ (1823–1833) –, ist das eine.

Das noch Interessantere aber ist der Verweis auf die animierte Monitorarbeit ihrer Kollegin Miho Kasama (Jg. 1980) daneben. Die Japanerin, ihre einstige Kommilitonin an der Nürnberger Kunstakademie, hat die wellenartigen Bewegungsströme des radioaktiven Fallouts von Fukushima visualisiert. Die geografische Wetterkarte aus dem Fernsehen ließ sie weg, so dass nur noch eine sechsfarbige Wolke über den Bildschirm wirbelt wie ein rastloser Tänzer: ganz schön schrecklich – oder schrecklich schön.

Junge Künstler nähern sich dem nackten Leben an

Für die andere „Schauer“-Schau sorgt nebenan im Zumikon-Studio Philippe Gerlach, den das Institut für moderne Kunst präsentiert. „Ich möchte so nah wie möglich an der Realität bleiben, etwa wie beim Tagebuchschreiben, aber natürlich kommt mit der Fotografie immer ein Element der Inszenierung mit ins Spiel“, sagt der kosmopolite Wahl-Berliner.

„Schauer“ jagen dem Betrachter die Noir-Fotografien des 1981 Geborenen insofern ein, als er sein persönliches Umfeld, aber auch Landschaften in einer atemberaubenden Intimität vor Augen führt, deren Zauber eher in der Wahrheit des Augenblicks liegt, als in der Schönheit der Situation: Der nackte Sprung ins schwarze Wasser. Die Freundin, übernächtigt. Junge Menschen im künstlichen Licht.

Von Gerlachs Fotografien geht eine „Unterwegs“-Ästhetik aus, gerade so als wäre Beat-Poet Jack Kerouac mit einer Kamera aus den 60er Jahren mitten in unsere Tage und Nächte hineingerast. Gerlach vermittelt, wie es sich wohl anfühlt, heute jung zu leben – schauerlich hart, schauerlich zart.

Bis 28.Juli; Großweidenmühlstr. 21; Mi.–Fr. 14–18 Uhr, Sa. 11–15 Uhr.
 

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