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Kalenderblatt 12. Dezember 1971: Der Mangel an Konzept

12.12.2021, 07:00 Uhr
Kalenderblatt 12. Dezember 1971: Der Mangel an Konzept

© Hans Kammler

Jüngster und eklatantester Anlaß zum Ärger auf Seiten des Galeristen Hansfried Defet, der als Geschäftsführer des „Vereins Symposion Urbanum“ fungiert, ist der Sabotageakt an dem Riesenfinger in der Nähe des Flughafens. Noch ist nicht gewiß, ob man es mit einem gezielten Akt gegen die ästhetisch umstrittene Arbeit der Wiener Hausrucker-Gruppe, vielleicht gar gegen das gesamte Symposion zu tun hat, oder ob das unschwer lädierbare Gebilde das Opfer zufälliger Zerstörungswut wurde. Das Unbehagen bleibt in jedem Fall. Denn die Summe aller bisherigen verbalen und tätlichen Aggressionen gegen die Werke des Symposions zeigt, daß es nicht einzelne, sondern daß es in Wahrheit sehr viele Nürnberger sind, die nicht mit dieser Kunst leben wollen, die eben dafür erstellt wurde, daß man mit ihr lebe.

Je größer am Anfang die Hoffnung war, um so nachdenklicher stimmt das bisherige Ergebnis mit allen seinen Begleiterscheinungen. „Symposion Urbanum“, das sollte heißen, daß die Idee des Bildhauersymposions, wie sie in St. Margarethen in der Steiermark und in St. Wendel im Saarland in bereits traditioneller Form realisiert wird, aus jener Abgeschiedenheit, in der die Künstler unter sich sind, in eine Großstadt transponiert wird. In ständigem Kontakt mit der Bevölkerung – so hieß es zunächst – sollten die Werke geschaffen werden. Das Unternehmen sollte zum Prüfstein werden, ob dergleichen sinnvoll und möglich ist.

Zufall statt Planung

Aber bald wurde deutlich, daß dazu überhaupt nicht die Voraussetzungen gegeben waren; denn nur bei einem geringen Teil der Arbeiten, nur bei jenen der Stein- und der Holzbildhauer, ließ sich das verwirklichen. Somit blieb vor allem der andere Aspekt des Unternehmens: das Ziel, mit genauer Planung eine Integration der Plastiken in die jeweiligen architektonischen Gegebenheiten zu erreichen. Man sprach von einer städtebaulichen Veränderung Nürnbergs durch dieses Unternehmen. Das Ergebnis demonstriert, daß in den meisten Fällen mehr der Zufall als die wirkliche Planung regierte. Von wirklicher Integration ist nicht die Rede, oft wirkt es sogar eher befremdend, wie die Arbeiten plaziert wurden.

Das spürt die Bevölkerung und eine Mahnung zur Toleranz nimmt sich da wie ein Rückzugsgefecht derer aus, die mit mehreren dieser „Patenschaften“ dieses Symposion erst möglich gemacht haben. Nicht nur im ästhetischen Charakter, auch in der Qualität der Plastiken gibt es größere Unterschiede, als dies für das Gelingen des gesamten Projekts gut sein konnte. Zum Besten zählt etwa der schwarze Granitblock von Karl Prantl am Hauptmarkt, zählt auch Raffael Benazzis Holzplastik im Innenhof an der Plobenhofstraße. Das sind saubere, handwerklich solide Arbeiten. Ihr ästhetisches Niveau läßt vergessen, daß sie auch an jedem anderen Ort stehen könnten.

Recht reizvoll ist auch Hein Sinkens kinetische Halbkugel-Reihung am Wöhrder See, für sich genommen würde auch Erich Hausers gebogener Stahlmast wirken, aber an jenem Bürohaus an der Deutschherrnstraße nimmt sich die Riesennadel verloren aus. Ansgar Nierhoffs große Stahlscheiben im weitmaschigen Netz am Sterntor gehören – neben Breustes aggressiv-pazifistischer „Overkill“-Assemblage am Maffeiplatz – zu den Objekten, an denen sich die öffentliche Mißstimmung immer wieder entzündete. Zum Objekt solcher Demonstration des Unwillens wurde auch Hausers große Stahlwand am Rathenauplatz: eine – für sich genommen – elegante, doch sehr unglücklich plazierte Arbeit, die mit dem Symposion nichts zu tun hat.

Wie lieblos jedoch zuweilen verfahren worden ist, sieht man an einer Metallplastik vor einem Schulgebäude in Langwasser: dort überkreuzen sich zwei mächtige Röhren und suggerieren die Assoziation, als träte die Fernheizung hier für einige Meter über die Erde. Kunst vor oder in einem Schulgebäude kann doch nur das eine Ziel haben, den Schüler im Umgang mit der Kunst unserer Zeit zu bilden. Wie aber soll das mit einem solchen brutalen Objekt, das jegliche ästhetische Sensibilität vermissen läßt, geschehen können?

Die Veranstalter des Symposiums sind hier dem gleichen Trugschluß erlegen, dem Nürnbergs zum Jahresende scheidender Kunsthallen-Direktor Dietrich Mahlow nicht selten erlegen ist. Mutwillige Konfrontation mit dem Ungewohnten provoziert mehr Unwillen als die Bereitschaft zum allmählichen Verständnis. Hinzu kommt, daß in den Symposions-Arbeiten beileibe nicht immer jenes Niveau erreicht worden ist, bei dem die – auch vom naiveren Betrachter mehr instinktiv als bewußt erkennbare – künstlerische Qualität die Einwände gegenüber dem Unkonventionellen zum Verstummen bringt.

Was das Nürnberger Symposion erbracht hat, mag sich auf einer Kasseler Dokumenta zum Teil nicht übel ausnehmen. Für das Bild einer Stadt, die Mühe hat, die historische Bausubstanz mit einer gemäßigten Moderne der neueren Architektur zu verschmelzen, ist das Ergebnis zum großen Teil dazu verurteilt, ein Fremdkörper zu bleiben. Aber auch ein solcher Fremdkörper kann mit der Zeit assimiliert werden. Eine neue Hoffnung, die einzige, die geblieben ist.

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