Kleiner Junge gaaaanz groß

29.7.2016, 19:18 Uhr
Wenn Kinder nicht mehr von den Eltern zur Schule gebracht werden, sondern nun selbst den Weg zur Bushaltestelle antreten, sorgt das bei Erwachsenen für ungute Gedanken. (Symbolbild)

© Julian Stratenschulte (dpa) Wenn Kinder nicht mehr von den Eltern zur Schule gebracht werden, sondern nun selbst den Weg zur Bushaltestelle antreten, sorgt das bei Erwachsenen für ungute Gedanken. (Symbolbild)

Bis vor ein paar Wochen war ich die Sorte von Mutter, über die sich so manche (andere Mütter) gerne das Maul zerreißen. Ich habe nämlich bis vor kurzem meinen kleinen Großen jeden Tag mit dem Auto zur Schule gebracht. Ja, und ich habe dabei zuweilen auch verkehrswidrig geparkt, aber nie in zweiter Reihe! Hand aufs Herz, ich schwöre! Nein, bis auf diesen kleinen Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung war ich meist artig.

Mit der Fahrerei war ich freilich nie allein. Nicht etwa, weil bei uns nur Helikopter–Eltern unterwegs sind, die einfach nicht loslassen können. Nein, an „unserer“ Schule sind Eltern durchaus auch jenseits von Sommerfesten willkommen — vor allem aber wohnen wir eben eine ganze Ecke von der Schule entfernt. Also habe ich meinen Grundschüler morgens nicht mit den Öffentlichen durch die halbe Stadt gejagt, sondern ihn eben gebracht. Übrigens: War immer eine schöne Gelegenheit, um noch zusammen sein und gemeinsam in den Tag gleiten zu können.

Wie dem auch sei. Doch seit ein paar Wochen ist alles anders. Seitdem läuft er auch morgens alleine zum Bus, fährt zur U-Bahn und mit der Richtung Schule — nimmt die Wege, die er schon lange am Nachmittag mit einem Freund zurücklegt. Und weil ich ja super modern und megacool bin, stecke ich das locker weg. So weit die offizielle, gesellschaftsfähige Version. Die Wahrheit ist, dass ich tagelang reinstes autogenes Training absolvieren musste, um die dümmsten und dunkelsten Gedanken von mir fernzuhalten: von entgleisenden Zügen, betrunkenen Autofahrern bis hin zum schwarzen Mann. Ich bin nicht panisch, ich habe nur eine blühende Fantasie — wohlwissend, dass man Kinder irgendwann eben laufen lassen muss.

Und mein kleiner Großer, der seinen Geldbeutel mit der Streifenkarte immer schon umklammert, wenn er das Haus verlässt? Der macht das alles (natürlich) mit links und lässt meine Regieanweisungen mittlerweile mit einer Mischung aus Langeweile und Genervtsein über sich ergehen.

Wir sind ein Stück in der Selbstständigkeit angekommen, und das ist auch gut so. Schön ist aber auch, wenn er, wie neulich, seine Schokoladenplätzchen-Augen rollt und ein "Kannst du mich heute nicht mal wieder fahren?" säuselt. Denn die Fahrerei war eben doch mehr, als nur von A nach B zu kommen. Bei uns ist es ein einziges Ritual zwischen (immer!) Kaugummi kauen, Buff-Buff-Musik hören (die mein Mann nie anschalten würde) und Zweisamkeit, bevor der Stress beginnt. Also: Begleiten Sie Ihr Kind ruhig mal wieder zur Schule, zu Fuß oder motorisiert. Aber ja nicht in zweiter Reihe halten!

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