Kommentar: Der Kita-Streik trifft vor allem die Eltern

3.4.2018, 06:00 Uhr
"Nach Ostern", hatte Verdi vor den Ferien mitgeteilt, werden Kitas und Horte in Nürnberg bestreikt.

© dpa "Nach Ostern", hatte Verdi vor den Ferien mitgeteilt, werden Kitas und Horte in Nürnberg bestreikt.

Es gibt Momente im Leben von Eltern, da könnte ihnen der Kragen platzen, ob der Moment nun Schwiegermutter oder Kita-Streik heißt. Kita-Streik? Das neue Reizwort hat mittlerweile das Potenzial, dass Eltern allein bei Erwähnung desselben der Hals anschwillt. Warum?

Der Kindergarten, die Krippe, der Hort macht wohl am 11. April einen Tag lang dicht - na und? Wir Mütter und Väter schaffen das schon - irgendwie. Im Grunde haben wir für unsere Erzieherinnen, die mehr Geld für ihre Arbeit fordern und deshalb auf die Straße gehen, auch das größte Verständnis.

Aber Bezirkschef Jürgen Göppner von Verdi Mittelfranken verpasst dem ganzen die Krönung, wenn er sagt: Es gehe nicht darum, die Eltern mit dem Streik zu treffen, sondern die öffentlichen Arbeitgeber. Den Satz höre ich jetzt in der Rolle als Mutter schon zum dritten Mal aus seinem Mund - im Jahr 2015, 2016 und nun erneut. Wen aber trifft man mit einer geschlossenen Kita, wenn nicht Vater und Mutter? Um sich über solche Sätze aufzuregen, muss man übrigens weder Rabeneltern sein, noch Karriere-fixiert, noch völlig überfordert vom Familienleben. Sondern ganz normal Vater oder Mutter mit Voll- oder Teilzeitjob.

Zur Erinnerung: Beim Aufruf vor drei Jahren streikten am Ende die Erzieher in der Region mehrere Wochen. Ihr Motiv war redlich: sie kämpften für mehr Anerkennung und mehr Geld bei zunehmender Arbeit. Viele Eltern wussten jedoch irgendwann nicht mehr, wohin mit ihren Kindern. Manche schleppten sie mit ins Büro. Andere, wie ich, teilten sich die Arbeitstage auf: in Früh- und Spätschicht von Mama und Papa. Andere schickten Sohn und Tochter zu Verwandten.

Ziemlich realitätsfern

Alles nicht so schlimm, oder? Schließlich, fast vergessen, gibt es da ja noch die Notfallplätze! Für Kinder von Eltern, die keine Möglichkeit haben, den Nachwuchs unterzubringen, betont Göppner. Ziemlich fern von der Realität, so ein Satz.

Erstens: Welches Kind lässt sich mit drei Jahren freiwillig in eine Notbetreuung bringen, an einen ihm fremden Ort, mit fremden Erziehern und unbekannten Kindern? Keines. Eltern - und dazu muss man nicht Übermutter oder -vater sein - die es versucht haben, sind mit heulendem Nachwuchs heimgekehrt.

Zweitens: Die Notfallplätze reichen bei Weitem nicht. Wie auch? In einer modernen Arbeitswelt, in der beide im Berufsleben stehen, kann es gar nicht genug solcher Plätze geben. Ganz abgesehen davon, dass die Kinder von Alleinerziehenden vollkommen zu Recht zuerst drankommen. Modernes, mobiles Arbeiten bedeutet aber auch: Oma und Opa wohnen weit weg, sie kommen als Betreuung oft nicht in Frage. Insofern ist die knappe Notfallbetreuung eine Farce.

Drittens: Was für einen Zeitpunkt hat Verdi da gewählt! Kurz nach den Osterferien, wenn alle Eltern gerade erst Urlaub hatten, sollen die Berufstätigen wieder frei machen. Von einem Gewerkschafter wäre mehr Verständnis für arbeitende Eltern zu erwarten gewesen. Ein versöhnliches Signal, mehr Entgegenkommen, in Form eines Streiktags in den Ferien etwa.

Aber genau das will Verdi wohl nicht. Der Tag soll weh tun. Das tut er tatsächlich, vor allem Müttern und Vätern, kaum den Kommunen. Denn die Städte sitzen das Ganze in aller Ruhe aus. So lange, bis der Tarifkonflikt beigelegt ist. Nur die wenigsten Eltern begehren dagegen laut auf. Ihren Frust kriegen höchstens die Erzieher in der Kita ab, also die völlig Falschen. Bei der Stadt direkt beschweren? Das tun die Wenigsten - wann und wie auch, wenn der Familienalltag ohnehin alle Kräfte bindet.

Ein Spiel zwischen Gewerkschaft und Stadt

Wer sich als Eltern engagiert, muss außerdem eine bittere Erfahrung machen: Als in Nürnberg beim letzten großen Streik einige Mütter und Väter auf die Idee kamen, ihren Kindergarten für die Zeit zu mieten und in Eigenregie zu betreuen, machten ihnen Vertreter der Stadt im Gespräch schnell klar: das geht nicht. Um dann der Gewerkschaft den Schwarzen Peter wieder in die Schuhe zu schieben.

Sympathien erntet man so sicherlich keine trotz berechtigten Gehaltsstreits. Viele Eltern fühlen sich längst als Teil eines Schwarzen Peter-Spiels zwischen Gewerkschaft und der Stadt. Was die Eltern also am 11. April mit ihren Kindern anfangen, bleibt allein ihr Problem.


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