Kranke Tierliebe: "Animal Hoarding" häuft sich in Nürnberg

9.2.2017, 05:44 Uhr
Kranke Tierliebe:

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Ein ausziehbares Sofa, ein Tisch, ein abgewetzter Korbstuhl und ein Katzenklo - für 48 Katzen. So lebte eine Nürnbergerin in ihrer Einzimmerwohnung auf 28 Quadratmetern, bis die Polizei an einem Sonntagmorgen nach einem Wasserschaden die Tiere sichergestellt hat. Die Wohnung war überschwemmt und voller Katzenkot; die Samtpfoten, von denen bereits fünf gestorben sind, befinden sich im Nürnberger Tierheim in Quarantäne - bis auf drei sind alle unkastriert.

Die Halterin ist keine Unbekannte. Sie ist bereits 2014 beim städtischen Veterinäramt aktenkundig geworden. Damals gab sie von ihren 15 Katzen freiwillig zwölf ab. Ein Tierhaltungsverbot wurde nicht ausgesprochen. Die Amtstierärztin ließ der Nürnbergerin drei kastrierte Samtpfoten. "Mit Blick auf die Persönlichkeitsstruktur können wir oft nicht mit der ganzen Härte des Gesetzes durchgreifen", erklärt die zuständige Veterinärin Daniela Rickert. Zugleich traf man die Vereinbarung, "dass die Zahl der Tiere so bleibt". Kontrolliert wurde das jedoch nicht. Rickert: "Wir haben gar nicht die personellen Kapazitäten, um das zu überprüfen - und auch keine rechtliche Handhabe für eine Kontrolle ohne hinreichenden Verdacht."

Der Sozialpädagogische Fachdienst der Stadt wurde hinzugezogen; es handelt sich um ein freiwilliges Beratungsangebot. Mitarbeiter Wolfgang Müller weiß aus Erfahrung: "Da den Klienten Anlass und Thema unserer Kontaktaufnahme sichtlich unangenehm sind, versuchen sie, auf Nebenschauplätze abzulenken - etwa Konflikte mit Nachbarn oder Geldsorgen -, um das eigentliche Problem zu umschiffen." Er betont: "Animal Hoarding kann überall in Nürnberg vorkommen, es ist kein Phänomen einer speziellen Schicht."

Die Nürnberger Amtstierärztin spricht bei den Haltern von "Wiederholungstätern". Einige seien bekannt, "die alle paar Jahre wieder auffällig werden" - derzeit fünf an der Zahl. "Vor allem Katzen und Kaninchen horten sie, aber auch eine bunte Mischung von Tieren." Dabei sei man vor allem auf die Hinweise aufmerksamer Nachbarn angewiesen.

Übergang zu schlechter Haltung ist fließend

Eine offizielle Statistik gibt es nicht. "Der Übergang von vernachlässigter Tierhaltung und 'Animal Hoarding' ist fließend", aber jeder Fall sei aktenkundig. Vor diesem Hintergrund schätzt Rickert die Zahl im Bereich Animal Hoarding auf mindestens zehn pro Jahr und spricht dabei von "zwei bis vier richtig großen Fällen". Sie ergänzt: "Vernachlässigung von Tieren haben wir quasi täglich."

Wie auch im aktuellen Fall sind häufig alleinstehende Frauen im Alter von über 45 Jahren betroffen. Es hat "eindeutig Krankheitswert", kommentiert die Erlanger Psychologin Andrea Beetz, die sich seit über 20 Jahren mit dem Bereich Mensch-Tier-Beziehungen befasst. Von Tierliebe könne hier keine Rede sein, "da nicht einmal die Grundlagen für eine Tierhaltung - wie Futter, Wasser, Hygiene, Pflege, medizinische Versorgung - erfüllt werden."

Es gibt Parallelen zum Messie-Syndrom

Doch hinter dem unfassbaren Tierleid steht auch ein menschliches Schicksal. "Eine Person, die in solchen unhygienischen Zuständen lebt, gefährdet sich selber. Es fehlt an jeglicher Selbstfürsorge", so Beetz. Die Betroffenen erleben einen grotesken Realitätsverlust, "in ihren Köpfen lieben sie die Tiere, sammeln sie und sehen nicht, was ein Außenstehender auf den ersten Blick erkennt: Dass es den Tieren verdammt schlecht geht." Und so sei bei Animal Hoarding nicht primär die Zahl der Tiere ausschlaggebend, sondern der Versorgungsstatus.

Es gibt durchaus Parallelen zum Messie-Syndrom - hier sammeln Betroffene Unmengen von Gegenständen an -, aber die Grundmotivation sei eine andere, weiß die Psychologin. Es fängt mit ein, zwei Katzen an, die meistens nicht kastriert sind. Ihre Zahl explodiert schnell ins Unermessliche. Der Bezug zu den einzelnen Tieren, die anfangs noch einen Namen bekommen, geht bald verloren.

Wenn die Behörden eingreifen, ist es meist schon zu spät. "Die Betroffenen nehmen die Tierkadaver in ihrem Zuhause nicht wahr und reden sich den katastrophalen Zustand schön", sagt Beetz. Das Problem: "Sie zeigen keinerlei Einsicht und wollen sich nicht helfen lassen." Das sei Teil des Krankheitsbildes - oftmals spielen auch Depressionen, eine Persönlichkeitsstörung oder bei alten Menschen eine Demenz eine Rolle. Die psychische Erkrankung, die oftmals durch eine Krise — wie Tod eines Angehörigen, Scheidung oder Arbeitslosigkeit — ausgelöst wird, stelle mit Blick auf die zunehmende Vereinsamung vieler Menschen auch ein gesellschaftliches Problem dar.

Hohe Rückfallquote bei "Animal Hoardern"

Da es sich um ein zwanghaftes Verhalten handele, sei die Rückfallquote bei Betroffenen entsprechend hoch. "Selbst wenn die Behörden ein Tierhaltungsverbot aussprechen, sammeln sie weiter oder gehen einfach in den nächsten Landkreis und befinden sich bald wieder in einem ähnlichen Zustand", weiß Beetz. Die Psychologin bringt in diesem Kontext die Schaffung eines bundesweiten Zentralregisters ins Gespräch und fordert eine Therapie als Auflage.

Denn: Wenn man den Betroffenen das Handwerk legt, "nimmt man ihnen ihre emotionale Stütze. Sie horten ja Tiere, weil sie psychisch labil sind." Deswegen sei ein Tierhaltungsverbot sinnvoll und zugleich schwierig. "Man sollte darüber diskutieren, ob man diesen Menschen - je nach psychischer Ausgangslage - ein bis zwei Bezugstiere lässt." Dann müsse aber ganz engmaschig kontrolliert werden.

Weitere Infos zum Thema und eine "Checkliste für das Vorliegen eines echten Falls von Tierhorten" unter www.tierschutzbund.de/animal-hoarding

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