Kreativität hinter Gittern: Kunstkurs in der Nürnberger U-Haft

21.6.2014, 16:25 Uhr
Die Skulptur mit dem Schlüssel und dem Schloss hat ein Häftling aus dem ersten Kurs gefertigt.

© Mark Johnston Die Skulptur mit dem Schlüssel und dem Schloss hat ein Häftling aus dem ersten Kurs gefertigt.

Die Sicherheitsvorkehrungen in der Justizvollzugsanstalt (JVA) in der Bärenschanzstraße erfordern ein ge­wisses Maß an Kreativität. Um aus Wachs eine Skulptur zu formen, benö­tigt man eine Flamme und ein Messer, mit dessen heißer Klinge sich das Material gut bearbeiten lässt. Doch scharfe Gegenstände und Feuer sind in Gefängnissen verboten. Deshalb arbeitet Felix Boekamp, der den Kunstkurs leitet, mit Bienenwachs, das sich auch formen lässt, wenn man es zwischen den Händen erwärmt.

Eigentlich studiert Felix an der Aka­demie der Bildenden Künste im ach­ten Semester „Künstlerische Konzep­tionen“. Doch in seiner Freizeit will er anderen Menschen einen Zugang zur Kunst ermöglichen und gibt Kurse für Kinder, Erwachsene – und Untersu­chungshäftlinge. Gleichzeitig finan­ziert er mit den Jobs sein Studium. „Für den Kurs in der U-Haft verlange ich aber nur die Hälfte meines norma­len Stundenlohns“, sagt der 37-Jähri­ge. „So reicht das Budget länger.“

Gerade schneidet er Stücke von einem Block aus Bienenwachs ab und verteilt sie an die Gruppe. Sieben Män­ner sitzen an dem großen Tisch. Die Wände im Raum sind in einem kräf­tigen Gelb gestrichen. Kaffeekannen und Tassen stehen auf einem Tablett. Vor den Fenstern: Gitterstäbe.

Felix Boekamp (links) ist eigentlich Student. In seiner Freizeit gibt er Kunst­kurse, unter anderem in der Nürnberger U-Haft.

Felix Boekamp (links) ist eigentlich Student. In seiner Freizeit gibt er Kunst­kurse, unter anderem in der Nürnberger U-Haft. © Mark Johnston

Positive Kurserfahrungen stärken die Häftlinge

Organisiert wird der Kunstkurs in der Nürnberger Untersuchungshaft von der Mudra, finanziert durch eine Spende der Universa Versicherung. Seit vielen Jahren schon engagiert sich die Drogenhilfeeinrichtung in der JVA für abhängige Häftlinge, bietet Gespräche und Beratungen an. Den Kunstkurs veranstaltet sie nun schon zum dritten Mal. Und das, obwohl der Gesetzgeber solche Freizeitaktivitä­ten nicht vorschreibt, sondern allen­falls empfiehlt, erklärt der Chef der Nürnberger JVA, Thomas Vogt. „Die Gefängnisleitung kann frei entschei­den, ob und was sie anbietet.“

Trotz des hohen Organisationsauf­wandes überwiegen die Vorteile eines Freizeitprogramms. Die positiven Erfahrungen im Workshop können das oft angeknackste Selbstbewusst­sein der Häftlinge stärken, sagt Ina Rösner, Abteilungsleiterin bei der Mudra. In ihrem bisherigen Leben sind sie oft gescheitert. „Im Kurs hin­gegen gibt es kein richtig oder falsch, kein gut oder schlecht. Kunst ist ein­fach nur richtig“, betont Rösner.

Der Kurs ist zudem eine der weni­gen Möglichkeiten, aus dem U-Haft-Alltag auszubrechen, fügt Sozial­pädagogin Gabriele Hartmann hinzu. Denn die Häftlinge sind etwa 20 bis 22 Stunden täglich in ihren Zellen ein­geschlossen. „Jede Abwechslung ist da willkommen.“ Indirekt profitieren auch die JVA-Mitarbeiter von den Angeboten, glaubt Vogt.

Oft verhalten sich die Häftlinge in den Kursen ganz anders, sind entspannt und locker. „Die Bediensteten können so eine andere Sichtweise auf die Gefangenen erhalten“, ist er überzeugt. „Sie sehen: Das sind nicht nur Häftlinge, die man verwahren muss, sondern Menschen.“ Hinzu kommt der erziehe­rische Effekt: Nur wenn es eine Frei­zeitaktivität gibt, kann diese bei Fehl­verhalten auch gesperrt werden.

Einblick in den Workshop

Freitagmittag im Kunstworkshop: Die Stimmung in dem kleinen Raum im zweiten Stock ist gelöst. Alle arbei­ten konzentriert an ihren Skulpturen, scherzen mit ihren Sitznachbarn. Murat formt aus dem Bienenwachs einen Frosch, der auf einem Seerosen­blatt sitzt. Seit drei Monaten ist er in Untersuchungshaft. Der Vorwurf: Drogenhandel. „Am schlimmsten ist, dass man nicht weiß, was danach kommt“, erzählt der 43-Jährige. „Die­se Ungewissheit macht dich kaputt.“ Den anderen Männern, alle zwischen 23 und 45 Jahre, werden Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Drogenhandel vorgeworfen.

Der 30 Jahre alte Sid kommt aus Rothenburg. In den nächsten Tagen beginnt sein Verfahren wegen schwe­ren Raubes. Was noch fehlt im Frei­zeitprogramm? „Ein Kurs zu Kreati­vem Schreiben würde mir Spaß machen“, sagt er. „Ich verfasse näm­lich gerne Gedichte.“ Bei dem Mudra-Workshop ist Sid schon zum zweiten Mal dabei. Vor allem, weil Kursleiter Felix „eine coole Sau“ ist. Demnächst soll es eine Ausstellung der Kunstwer­ke geben, die in den drei bisherigen Kursen von den Teilnehmern gefertigt wurden.

In der Nürnberger U-Haft befinden sich Häftlinge, deren Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg verhan­delt werden. Etwa 300 Männer sitzen dort derzeit ein. Außerdem sind in Nürnberg 560 Strafgefangene im regu­lären Gefängnis untergebracht. „Bei uns herrscht eine große Gruppen­dynamik“, berichtet Sozialpädagogin Hartmann. Zum Beispiel könne bis zum nächsten Kurs einer der Untersu­chungshäftlinge entlassen worden sein oder an diesem Tag eine Verhand­lung haben. „Man weiß nie, wer in der nächsten Woche noch dabei ist.“

Dass sich die Männer trotzdem ange­meldet haben, ist für Ina Rösner ein positives Zeichen. Sie signalisieren so ihre Bereitschaft, etwas Neues lernen und sich verändern zu wollen, erklärt sie. JVA-Leiter Vogt: „Wenn nur einer zeitweise auf dem richtigen Weg ist, rentiert sich das schon.“ Als Sozial­pädagogin Hartmann fragt, wer nächs­te Woche wieder kommen will, gehen sieben Hände nach oben.

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