Kreuz für toten Buben wird immer wieder gestohlen

30.4.2008, 00:00 Uhr
Kreuz für toten Buben wird immer wieder gestohlen

© Stefan Hippel

«Wir können das nicht nachvollziehen. Es ist skandalös, dass nicht einmal mehr vor derartigen Symbolen Rücksicht genommen wird«, meint Mutter Erika Kiener, die ihren Sohn Thomas am 30. Juli 1993 verloren hat. Ein Sattelschlepper hatte an der Kreuzung Marthweg/Wiener Straße die Vorfahrt des zehnjährigen Radfahrers übersehen und den Buben überrollt - nur fünf Minuten von seinem Elternhaus entfernt.

Täglich kommen zahllose Pendler auf ihrem Weg zur Arbeit an der Unglücksstelle vorbei, das Kreuz erinnerte an das entsetzliche Geschehen. Damals hatte der tödliche Verkehrsunfall viele Menschen bewegt, die den Buben mit dem Spitznamen «Boy« aus dem dörflichen Umfeld in Pillenreuth gekannt hatten. Der Vater war damals seinem Sohn entgegengegangen, weil er eine halbe Stunde überfällig war. Schon von Weitem sah Herbert Kiener das Blaulicht des Rettungswagens. Beim eiligen Heranhasten blickte er auf den Lastwagen, das zerbeulte Fahrrad, den Blutfleck auf der Straße und auf die Mütze seines Sohnes. Der Leichnam war bereits mit einem Tuch abgedeckt.

Unfallfahrer weinte vor Gericht

Bei der Verhandlung gegen den Lkw-Fahrer im Dezember 1994 sagte ein Rentner aus, der unmittelbar hinter dem Buben geradelt war: «Aus Nase, Mund und Ohren des Jungen floss Blut«, erinnerte sich der 63-Jährige damals weinend im Gericht, «auch als ich ihm den Gürtel lockerte, kam Blut aus der Hose.« Um dem Sterbenden Erleichterung zu verschaffen, nahm er dem Buben die Zahnspange aus dem Mund und legte ihn am Straßenrand in die stabile Seitenlage.

Das schlichte Holzkreuz an der Kreuzung sollte Passanten auch ins Bewusstsein bringen, dass ein Moment der Unaufmerksamkeit und ein falsch eingestellter Lkw-Spiegel zur Katastrophe geführt hatten. Der Spediteur wurde wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und damals zu 7500 Mark Geldbuße verurteilt.

Unbekannte hatten das Kreuz im vergangenen Herbst schon einmal mitgenommen. Ein Spaziergänger fand es später irgendwo im Wald wieder und brachte es zurück. Seit einer Woche ist das Symbol erneut verschwunden. «Das verletzt uns«, sagt Erika Kiener, «denn es war doch das Zeichen, dass ein junger Mensch an dieser Stelle sein Leben verloren hat. Hat man denn keine Ehrfurcht davor?«

Achtsamer Umgang

Es ist umso trauriger, als Straßenarbeiter, die den Grünstreifen neben der Fahrbahn mähen, immer auf die Gedenkstelle geachtet haben. Mit ihren Maschinen haben sie regelmäßig einen kleinen Bogen um das Kreuz und die frischen Blumen gefahren.

Auch wenn sich die Katastrophe tief und unauslöschlich in die Herzen der Familie eingebrannt hat, so haben die Eltern mittlerweile gelernt, mit dem Verlust ihres einzigen Sohnes umzugehen. Ihre Tochter Linda - mittlerweile selbst eine junge Frau - erwartet demnächst ein Baby. Für die Eltern ist es ein gewisser Trost, dass das Leben weitergeht. Nur manchmal, wenn Erika Kiener einen großen, sportlichen Mann Mitte 20 sieht, denkt sie: «Das hätte jetzt auch mein ,Boy‘ sein können...«