Künstliche Intelligenz: Wie digital ist der Verkehr in Nürnberg?

27.2.2019, 17:05 Uhr
Künstliche Intelligenz: Wie digital ist der Verkehr in Nürnberg?

© Foto: Günter Distler

Die Vorstellung klingt verlockend: Per App ein Roboterauto bestellen, das kurz darauf vor der Tür steht; einfach einsteigen, sich um nichts kümmern müssen, nicht mal ums Parken. Bezahlt wird bargeldlos. So könnte im Jahr 2040 der Alltag bei uns aussehen. Wir bewegen uns in autonomen Mobilitätssystemen, die jederzeit verfügbar sind. Und Autos parken nicht mehr am Straßenrand, sondern zirkulieren en masse in der Stadt.

Für den leitenden Nürnberger Verkehrsplaner Frank Jülich wäre eine solche Entwicklung ein Albtraum. "Nicht alles, was machbar ist, ist auch gut", betont er und rät: "Wir sind gut beraten, Sinn und Unsinn zu hinterfragen." Anstelle eines individuellen E-Auto-Massenbetriebs hält er den Ansatz "Teilen statt Besitzen" für eine bessere Strategie.

Carsharing über eine App zu verknüpfen, sei ein erster Schritt, um den motorisierten Verkehr zu reduzieren. Ein geteiltes Auto ersetzt 17 private, sagt die Statistik, nach der im Schnitt ein Privatwagen 23,5 Stunden am Tag ungenutzt in der Stadt herumsteht. Die Stadt Nürnberg wird 2019 die Zahl der Mobilitätsstationen mit E- und Sharing-Angeboten von acht auf 20 erhöhen. Verkehr sei heute "ein stehendes Problem", sagt Jülich. Um es erfolgreich zu lösen, könne Künstliche Intelligenz "ein Hilfsmittel auf dem Weg sein, Mobilität zu unterstützen und unverträgliche Nebenwirkungen zu beseitigen".


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Statt von KI spricht der Planer lieber von Digitalisierung, die in Nürnberg schon an vielen Stellen lenkend zum Einsatz kommt. Wegweisend seit 2008 bei der fahrerlosen U-Bahn zuerst auf der U3- und zwei Jahre später auf der U2-Strecke. Erfolgreich ist auch das seit 2006 bestehende Verkehrsleitsystem für das Umfeld von Messe und Stadion, das Frank Jülich federführend entwickelt hat. Es wird gerade weiterentwickelt, damit künftig die Verkehrsströme auch auf der im Ausbau befindlichen A73 gesteuert werden können.

Künstliche Intelligenz: Wie digital ist der Verkehr in Nürnberg?

© Foto: Horst Linke

Interessant ist laut Jülich gewesen, dass die meisten Autofahrer die Anzeigetafeln beachtet haben, bis mit dem Aufkommen der digitalen Navigationsgeräte die Abweichler zunahmen. Weil sie meinen, dass ihr Gerät besser informiert ist. Ein Trugschluss, wie die Praxis zeigt. Mit dem Blick auf solche Tendenzen ist der Planer skeptisch, ob hinter der Offensive für KI wirklich das Wohl der Städte steckt oder nur eine "effektivere Philosophie für das Auto".


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"Druck aus der Wirtschaft und Politik" spürt der Behördenleiter sehr wohl. "Alle zwei Monate" gebe es Anfragen. Kar ist: Tests für autonomes Fahren laufen längst nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland. In Bad Birnbach betreibt die Bahntochter ioki seit Herbst 2017 einen selbstfahrenden Kleinbus. Im Mainzer Hafenviertel sind auch erste Kleinbusse auf ausgewählten Strecken mit mehreren Sensorsystemen und Stereokameras unterwegs, um mit Hilfe von Satellitentechnik navigiert zu werden.

Dabei gilt: Kommen andere Verkehrsteilnehmer dem Bus zu nah, verlangsamt er die Fahrt, bleibt notfalls stehen oder übergibt an die Begleitperson, die jederzeit eingreifen oder den Autopiloten mit Hilfe eines Joysticks übersteuern kann. Ein Kleinbus-Test mit vier Fahrzeugen läuft zudem auch auf dem Campus der Charité Berlin.

Ungeachtet solcher Projekte plädiert Frank Jülich für "ein inter- und multimodulares System, das Mobilität jenseits des privaten Betriebs schafft". Ein Fahrradleihsystem, das digital via Handy und App funktioniert und auf den Nahverkehr abgestimmt ist, wie es aktuell in Nürnberg geplant wird, sei zukunftsweisend. Ein 365-Euro-Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr ein "steuerndes Argument", bei der die Politik gefragt sei.

Schnell, günstig, gesund

Letzten Endes hält Jülich die Adjektive "schnell, günstig, gesund" für entscheidend für die Wahl des Verkehrsmittels. Künstliche Intelligenz könne nicht nur bei der U-Bahn, sondern auch bei Straßen- und S-Bahnen für einen erhöhten Takt sorgen. Wobei die Automatisierung in geschlossenen Röhren als deutlich einfacher gilt als in offenen Systemen, wo deutlich mehr Störungen und Konflikte passieren können.

Künstliche Intelligenz: Wie digital ist der Verkehr in Nürnberg?

© Foto: Michael Matejka

Letztlich sind die Fragen der Kontrolle und der Verantwortung entscheidende Punkte, die bei der Künstlichen Intelligenz im Verkehr für Zündstoff sorgen. Der erste tödliche Unfall eines automatisierten Uber-Taxis in den USA ließ im März 2018 die Wellen höher schlagen. Jeder weitere Vorfall werde ein Rückschlag sein, ist sich Frank Jülich sicher. Gerade bei der Schuldfrage gibt es bisher hitzige Diskussionen – mit Blick auf notwendige gesetzliche Vorgaben und ethische Grundsätze.

Wie Maschinen lernen, Gefühle zu erkennen

Vom Deutschen Städtetag gab es im Sommer 2018 ein Positionspapier zur Digitalisierung des Verkehrs, in dem betont wurde, dass autonomes Fahren primär im öffentlichen Nahverkehr entwickelt werden sollte (siehe Info-Kasten rechts). Frank Jülich sieht hier ein gewisses Ungleichgewicht bei den Finanzmitteln zwischen Stadt- Staaten wie Bremen, Hamburg, Berlin und den sonstigen Kommunen im Land.

Mit Blick auf die Zukunft hofft er, dass KI "nicht als Selbstzweck, sondern hilfreich in einer Stadt" eingesetzt werde, wie es schon bei E-Partizipation mit den Bürgern eingesetzt wird. Ansonsten verweist er auf den renommierten Kopenhagener Verkehrsplaner Jan Gehl, der nicht selbstfahrende Autos, sondern menschengerecht gestaltete Plätze als wesentlich für eine "lebenswerte Stadt" bezeichnet.

Der Deutschen Städtetag hat im Juni 2018 in seinem Positionspapier für "Nachhaltige städtische Mobilität für alle" eine "Agenda für eine Verkehrswende aus kommunaler Sicht" verabschiedet. Dort steht: "Die Digitalisierung des Verkehrs im öffentlichen und individuellen Bereich muss sich auf die effizientere Auslastung, Optimierung und Verknüpfung der bestehenden Verkehrssysteme konzentrieren und neue Verkehrsmodi integrieren. Dies schließt auch die Information und Kommunikation zwischen Anbietern und Nutzenden, Systemen und Angeboten ein. Autonomes Fahren ist bevorzugt im öffentlichen Verkehr zu entwickeln."

Autonomes Fahren und ÖPNV verknüpfen

Im weiteren heißt es: "Das autonome und vernetzte Fahren bedarf ausreichender 'Leitplanken', um den Nutzen in den Kommunen zu sichern und die Risiken (Mehrverkehr, stark separierte öffentliche Räume, soziale Segregation hinsichtlich der Mobilitätschancen etc.) zu minimieren. Es sollte eng an den ÖPNV geknüpft werden und das Ziel verfolgen, den Individualverkehr zu reduzieren und den Besetzungsgrad von Fahrzeugen zu erhöhen. Die technischen und administrativen Voraussetzungen für das autonome Fahren verursachen auch in den Kommunen hohen personellen und finanziellen Aufwand, der abgesichert werden muss."

Auch Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat sich zum Thema bereits klar geäußert: "Das automatisierte und vernetzte Fahren ist die größte Mobilitätsrevolution seit der Erfindung des Autos. Wir wollen diese Technologie auf die Straße bringen."

Noch bis 16. März berichten wir montags, mittwochs und samstags über Chancen und Risiken der Künstlichen Intelligenz (KI). Im Netz finden Sie unter www.nordbayern.de Zusatzangebote zu unserem Serienthema.

Weitere Themen zur KI-Serie:

16.2.: Wohin geht die Reise in Sachen KI? Was klappt schon? Wer beteiligt sich?

18.2.: Wie ändert KI unser Leben? Was leistet sie in den Amtsstuben?

20.2.: Was tut sich im Ladengeschäft? Was können sprachbasierte Systeme?

23.2.: Wie funktionieren Algorithmen in Musik und Malerei?

25.2.: Was lehrt uns Frankenstein über KI? Steuert KI den Verkehr mit?

27.2.: Wird der Bauer überflüssig? Wie nutzt die Industrie KI?

2.3.: Was macht KI mit dem Menschen? Wie realistisch sind Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine? Revolutioniert KI den Fußball?

4.3.: Wie wird KI in der Strafverfolgung eingesetzt? Was tut das Analytics Data Application Center in Nürnberg?

6.3.: Welche Rolle spielt KI in Film und Literatur? Wohin, bitte, soll die Fahrt gehen?

9.3.: Wie wirkt sich KI auf unser Gesundheits- und Finanzwesen aus?

11.3.:  und in der Redaktion?

13.3.: Wie arbeiten Algorithmen in der Bewerberauswahl? Was tut das Energie- und Technologiezentrum in Nürnberg?

16.3.: Wie beurteilen ein Medienethiker und ein Entwickler Chancen und Risiken der KI?

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