«La Gondola» verträgt keine Hektik

3.5.2008, 00:00 Uhr
«La Gondola» verträgt keine Hektik

© Sippel

Gesungen wird nicht. «Eine Gondel braucht volle Aufmerksamkeit, da kann man nicht nebenbei singen,» sagt Ingo Stahl. Der 68-Jährige ist einer von nur fünf deutschen Gondolieri und mit seinem Boot am Venezianischen Markt zu Gast. Sein schwarz lackiertes, etwa elf Meter langes Schmuckstück liegt ganz flach im Wasser. «Dadurch ist es leicht zu manövrieren, aber auch anfällig für Wellengang und Seitenwind.»

Beides gibt es auf der Pegnitz eher selten. Und so erwartet Gondoliere und Fahrgäste ein entspannter Genuss. Von der Liebesinsel legt sein Kollege Renato Grosera, ein echter Venezianer mit jahrzehntelanger Erfahrung auf den Kanälen der Lagunenstadt, ab. An Bord hat er zwei gut gelaunte Frauen.

«Der Gondoliere steht immer auf der linken Seite und rudert auf der rechten Seite», erklärt Grosera, dessen Familie seit über 200 Jahren in Venedig «la Gondola» steuert. «Das rechte Bein muss einen Schritt nach hinten, und beide Hände sind am Riemen», führt er die Grundhaltung weiter aus. Um den einseitigen Vortrieb auszugleichen, ist die etwa 600 Kilo schwere Gondel leicht asymmetrisch geformt. Die linke Seite ist stärker gewölbt und höher als die rechte.

Ein über 20 Kilo schwerer Bugbeschlag aus Edelstahl bildet ebenfalls ein Gegengewicht zum Bootsführer. «Der ,Ferro‘, wie wir Venezianer sagen, zeigt symbolisch den Hut des Dogen, die Rialtobrücke und die Stadtteile von Venedig: San Marco, Dorsoduro, San Polo, Cannaregio, Castello und Santa Croce,» zählt Renato Grosera auf. Der nach hinten gerichtete Zacken stehe für die Insel Giudecca. Nicht fehlen dürfe die Flagge Venedigs mit dem geflügelten Markuslöwen.

Rund 35 000 Euro kostet eine neue Gondel bei einer der vier venezianischen Werften. Ingo Stahl hat sich vor vier Jahren ein gebrauchtes Boot zugelegt, das früher vor San Marco seinen Dienst getan hat. «Etwa zwei Jahre muss man üben, bis man die Gondel sicher lenken kann», so seine Erfahrung. Er stand 2001 zum ersten Mal am Riemen. Bei Rinaldo Pressel, dem Erfahrensten der deutschen Gondolieri, ging er in die Lehre. Eine offizielle Lizenz dürfen Ausländer in Venedig nicht erwerben. In Deutschland ist ein Schiffs-Führerschein für Fahrgastschiffe vorgeschrieben, und die Gondeln müssen vom TÜV geprüft werden.

Das Hobby ist für den Kaufmann im Ruhestand mittlerweile schon fast ein Beruf geworden. «Ich bin auf Veranstaltungen in ganz Deutschland unterwegs.»

Während Stahl die Feinheiten des Gondellenkes erklärt, legt Renato Grosera den meterlangen Riemen vorsichtig auf die Gabel und fährt mit langen ruhigen Schlägen unter der Fleischbrücke und der Museumsbrücke hindurch zum Heilig-Geist-Spital. Hier dreht er. Weiter geht es unter dem Henkersteg bis zum Wehr vor dem Kettensteg. Nach einer weiteren Wende erreicht man nach etwa 25 Minuten die Liebesinsel. Zehn Euro kostet die Rundfahrt pro Person. Musikalische Begleitung muss extra gebucht und bezahlt werden.

Blühende Gärten, Brücken, historische Gebäude - die Fahrt eröffnet ganz neue Ansichten auf die Stadt. Das geschäftige Getümmel auf den Brücken und Plätzen scheint weit entfernt. «Eine Gondel zu steuern, ist eine sehr entspannende Tätigkeit, die Ruhe des Flusses und der Ruderschläge überträgt sich auf den Gondoliere», so die Erfahrung von Ingo Stahl. «Die Gondel verträgt keine Hektik», sagt er.

In Venedig kann das mitunter anders sein, berichtet sein Kollege: Hektischer Motorbootverkehr herrscht rund um die Rialtobrücke und im Becken von San Marco. «Dort muss man die Augen aufmachen und aufpassen - fast so wie beim Autofahren», erklärt der 78-Jährige. «Aber das ist kein Problem», sagt Renato Grosera mit einem Schmunzeln. «Wir sind Profis. Niki Laudas am Riemen.» Clara Grau

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