Markierungen in Kopfhöhe

9.2.2009, 00:00 Uhr
Markierungen in Kopfhöhe

© Gerullis

Der Ausdruck «Jahrhunderthochwasser» hat in den letzten 15 Jahren ziemlich gelitten, da alle zwei bis drei Jahre solche Hochwasser an Rhein, Donau, Weser und Elbe auftraten und halb Nord- und Ostdeutschland davonspülten. Vielleicht müsste man angesichts der Klimakatastrophe den Begriff modifizieren und die Wasserwerte nach oben korrigieren. Aber selbst dann dürfte das Nürnberger Hochwasser von 1909 mit einem Pegelstand von 4,67 Meter noch einen Spitzenplatz einnehmen.

An Berichten und historischen Fotos darüber herrscht in der NZ kein Mangel. Aber so eine anschauliche Führung, wie sie die Altstadtfreunde am Samstag anboten, ist doch noch etwas Besonderes. Zum Beispiel die Ansicht des Hauses Hauptmarkt 3: Da hängen schön übereinander zehn Markierungen der Hochwasserstände von 1595 bis 1909; letzteres mit weitem Abstand über seinen Vorfluten.

Kurioserweise fanden die meisten dieser Fluten im Winter statt, verrät die Altstadtführerin Ingrid Kobras. Sommergewitter sind zwar heftig, aber kurz. Winterschwemmen verdanken sich dem Tauwetter oder plötzlichen Wetterumschwüngen. Dies war 1909 der Fall, als nach starkem Frost ein Dauerregen einsetzte. Der Boden war noch bis in einen Meter Tiefe hartgefroren und konnte kein Wasser aufnehmen. So schoss die Regenflut mitsamt dem Schnee von der Frankenalb ins Pegnitztal. Nicht umsonst bedeutet Pegnitz «schlammiger Fluss». Oder Pengerts, wie der Volksmund sagt («drunten an der Pengerts, da gängerts»).

Nebst den zahlreichen Markierungen an Heilig-Geist-Spital, Frauenkirche und Bürgerhäusern ragen gewaltige Ösen in Kopfhöhe aus dem Mauerwerk. Da sollten bei der nächsten Flut dicke Taue durchgezogen werden, damit die Rettungskähne sicheren Halt fänden. «Sie glauben ja gar nicht, welch gewaltige Kraft die Wasssermassen in den engen Gassen entwickeln», bedeutet Ingrid Kobras. Unter anderem fiel der Flut eine Bedürfnisanstalt zum Opfer, die beim Kettensteg unter Brodeln und Blubbern ihren Teil zum Schlammwasser beitrug.

Allerdings war die Flut teilweise auch hausgemacht. Die Pfeiler der Museumsbrücke stellten sich den Wellen in den Weg, ebenso die zahlreichen Mühlen mit ihren Vorbauten, die das Wasser zu den Rädern lenkten. Da nutzten auch der Bogen der Fleischbrücke und der durchtunnelte Pfeiler der Karlsbrücke nichts mehr.

Rund 100 Millionen Euro Schaden hatte das Hochwasser nach heutigen Werten angerichtet. Damit sich das nicht wiederholt, überlegte sich das Königlich-Bayerische Hydrotechnische Bureau in München allerhand Gegenmaßnahmen. Man baute Telefone, damit der Nachtwächter bei Regengefahr den Pegelstand durchgab. Als es 1911 wieder stark regnete, erfüllte der Wächter zwar seine Pflicht, dennoch trudelte keine Meldung ein. Warum? Der Wächter hatte zwar in den Hörer gesprochen, doch weder gewählt, noch gekurbelt. Fortan musste laut Vorschrift ein Nachtwächter stets nüchtern, mit normalem Gehör und Gesicht ausgestattet sein, sowie des Telefonierens kundig.

Auch erwog man den Bau von Poldern östlich der Stadt, aber auch Kanälen, die das Wasser um die Stadt herumleiten sollten. Die spektakulärste Maßnahme sah sogar einen Hochwasserstollen vor, der unter den Burgberg hindurchführen sollte.

Der Fluttunnel kam dann doch zustande, allerdings in günstiger Variante: er beginnt als dritter Bogen der Museumsbrücke und führt nach 140 Metern hinter der Fleischbrücke wieder in die Pegnitz zurück. So konnte man die Engstelle diskret entschärfen.

Für den Abbruch der Mühlen sorgten allerdings die Amerikaner bei ihrem Bombardement vom 2. Januar 1945. Seitdem ist Nürnberg von größeren Hochwassern durch Dauerregen verschont geblieben. Aber wer weiß, was angesichts des Klimaumschwungs kurze, aber heftige Sommergewitter anrichten werden?

Reinhard Kalb

Keine Kommentare