Mehr Bäume für die Stadt? In Nürnberg fehlt es an Grün

25.4.2021, 05:44 Uhr
Die graue Realität: Zu viele Straßen in Nürnberg sehen so aus, dicht bebaut und mit Autos beparkt und nur wenig Platz für Straßenbäume. 

© Roland Fengler Die graue Realität: Zu viele Straßen in Nürnberg sehen so aus, dicht bebaut und mit Autos beparkt und nur wenig Platz für Straßenbäume. 

Durchquert man die Straßen Nürnbergs fällt vor allem in der Alt- und Weststadt eines auf: Grün ist hier Mangelware. Dichte Besiedelung und zahlreiche versiegelte Flächen lassen kaum Platz für Bäume und Natur. Dieser Eindruck spiegelt sich auch in Zahlen wieder. Nürnberg gehört als zweitgrößte Stadt Bayerns zu den am dichtesten besiedelten Deutschlands: Über 500.000 Einwohner leben auf rund 186 Quadratkilometern. Besonders in der Kernstadt geht es eng zu, öffentliches Grün, also Wälder und Parks, belegen etwa 2,6 Prozent der Fläche. Die Anzahl der Straßenbäume, also jene aus flächenhaften Beständen ausgenommen, beträgt in Nürnberg nur rund 29.000. Anschaulich wird diese Anzahl im Umkehrschluss: Ein Nürnberger teilt sich einen Straßenbaum mit etwa 18,5 weiteren Bürgern. In vergleichbaren Städten wie Karlsruhe oder Leipzig kommen auf einen Baum 4,3 beziehungsweise 10,3 Bürger. Hier wird deutlich: In Nürnberg besteht Aufholbedarf in Sachen Stadtgrün.

"Ungrünes" Nürnberg?

Genauso sieht das der Arbeitskreis "Bäume in der Stadt" des Bund Naturschutz in Nürnberg. "Bäume tragen zu einem großen Stück zu einer Verbesserung der Lebensqualität und der Stadtökologie bei und in Nürnberg gibt es viel zu wenige davon", erklärt Mathias Schmidt, der bereits 1992 die Projektgruppe "Straßenbäume" als Vorläufer des heutigen Arbeitskreises mitgegründet hat. Auch beim städtischen Servicebetrieb Öffentlicher Raum (Sör), dessen Aufgabenspektrum unter anderem die Planung und Pflege öffentlicher Grünanlagen und des Stadtgrüns umfasst, ist man sich dessen bewusst: "Wir können den Baumbestand etwa halten, aber das reicht natürlich nicht - es sollen mehr werden", so Sör-Sprecher André Winkel.


Klima und Schädlinge machen dem Nürnberger Reichswald zu schaffen


Warum Nürnberg im Vergleich zu anderen Städten so "ungrün" ist, hat mehrere Gründe und liegt vor allem in der Stadthistorie begründet: "Nürnberg ist als mittelalterliche Stadt geprägt von den damaligen Strukturen", erklärt Winkel. "Damals noch innerhalb der Stadtmauer eingeplante Grünflächen sind mit der Expansion der Städte im 19. Jahrhundert verschwunden. Hinzu kommt, dass Nürnberg keine Residenzstadt war, wie zum Beispiel München oder Ansbach – große zusammenhängende Parkanlagen sucht man hier vergebens". Schmidt ergänzt: "Nach der enormen Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg hatte der Wiederaufbau der Infrastruktur und des Wohnraums oberste Priorität – daran zu denken, genug Grün im Stadtbild unterzubringen, war damals von weniger wichtigem Belang."

Bäume haben es in Nürnberg schwer

Problematisch sind außerdem die sehr engen Straßenquerschnitte und zahlreiche unterirdisch verlaufende Kabel und Kanäle, Platz für das Wurzelwerk von Bäumen besteht nur sehr begrenzt. Der Pflanzung in engen Straßenzügen müssten deshalb häufig zunächst Umbauten vorangehen, was hohe Kosten verursacht. Auch Nürnbergs Lage in der mittelfränkischen Sandachse mit sehr sandigen Böden, heißen Sommern und verhältnismäßig wenigen Niederschlagsmengen sowie der Klimawandel und sich verändernde Temperaturen machen es den heimischen Baumarten schwer, erläutert Winkel. Wegen der Klimaerwärmung hat Sör ein Bewässerungssystem entwickelt: Unter anderem werden Spezial-Fahrzeuge eingesetzt, die im Winterdienst genutzt und im Frühjahr umgerüstet und mit einem Tank und einem ausschwenkbaren Gießarm ausgestattet werden, in Zeiten großer Hitze unterstützen externe Dienstleister. Hier sei aber mehr Personal und ein weiterer Ausbau der Pflege und Bewässerung der Straßenbäume dringend nötig, findet Schmidt: "Wir setzen uns für einen speziellen Sommerdienst ein, der zwischen April und September regelmäßig die Bäume bewässert. Die letzten drei Trockenperioden haben Nürnberg viele Bäume gekostet und den Bäumen in der Kernstadt wird in Sachen Bewässerung zu wenig Beachtung geschenkt". Als weiteren Grund für die zunehmende Reduktion des Baumbestandes in Nürnberg macht Schmidt den anhaltenden Bauboom verantwortlich: "Jede Baumaßnahme kostet Bäume und die werden leider in den wenigsten Fällen adäquat ersetzt."

Positive Effekte für das Klima

Dabei wäre mehr Grün in Nürnbergs Stadtbild in vielerlei Hinsicht ein Gewinn, denn es vereint gleich mehrere positive Wirkungsweisen in sich: Bäume fungieren als natürliche Klimaanlagen. Durch die Verdunstung von Wasser entziehen sie der umgebenden Luft Wärme und können die Temperatur um bis zu 8 Grad senken. Besonders in heißen Sommern spenden sie Schatten und helfen so, dass sich Asphalt und Häuserwände nicht so stark aufheizen. Hinzu kommt ihre wichtige Funktion für das Klima: Sie bilden Sauerstoff und binden neben Staub auch das klimaschädliche CO2: "Ein großer Baum kann der Umgebungsluft bis zu 300 Kilogramm Kohlenstoffdioxid pro Jahr entziehen", erklärt Schmidt. Ein ebenfalls nicht zu vernachlässigender Fakt ist die Verringerung von Lärm: Der Schall wird durch Rinde und Laub geschluckt und macht Lärm erträglicher. Mit Bäumen umsäumte Straßen können durch eine optische Verengung zudem zu einer Minderung der Verkehrsgeschwindigkeit beitragen und gestalten die Häuserflucht, indem sie die Eintönigkeit asphaltierter Straßen aufbrechen.


So soll der Nürnberger Reichswald dem Klimawandel trotzen


Risiko für Gesundheitsprobleme wird gesenkt

Doch nicht nur der Umwelt, dem Klima und der Silhouette täte etwas mehr Grün in Nürnberg gut: Auch die Bürger könnten gesundheitlich davon profitieren. Ein Forscherteam des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv), der Universität Leipzig und der Friedrich-Schiller-Universität Jena stellte in einer aktuellen Studie fest, dass Straßenbäume im direkten Lebensumfeld das Risiko für Depressionen und den Bedarf an Antidepressiva in der Bevölkerung reduzieren könnten. Die Biologin Prof. Aletta Bonn leitet das Department Ökosystemleistungen am UFZ-Standort Leipzig, ist Professorin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Rahmen des iDiv Halle-Jena-Leipzig und fasst als ein Ergebnis der Studie zusammen: "Straßenbäume in städtischen Wohngebieten zu pflanzen, könnte eine effektive und preiswerte naturbasierte Lösung sein, um psychische Krankheiten, den lokalen Klimawandel und den Verlust biologischer Vielfalt zu bekämpfen."

Mehr Straßenbäume, weniger Depressionen?

Im Rahmen der Studie setzten die Forscher die Daten von fast 10.000 Einwohnern mit räumlich genauen Daten von Straßenbäumen der Stadt Leipzig in Beziehung. "So konnten wir den Zusammenhang zwischen Antidepressiva-Verordnungen und der Anzahl der Straßenbäume in unterschiedlichen Entfernungen von den Wohnorten der Menschen ermitteln", erklärt Bonn. "Dieser Zusammenhang war besonders klar für sozial schwache Gruppen, die in Deutschland am gefährdetsten gelten, an Depressionen zu erkranken. Insbesondere das Wohnen in der Nähe einer hohen Anzahl von Straßenbäumen reduzierte das Risiko, dass jemand aus einer sozial benachteiligten Gruppe Antidepressiva verschrieben bekam, um die Hälfte - von acht auf vier Prozent."

Jede Art tut gut

Nach den Ergebnissen ihrer Studie empfehlen Bonn und ihre Kollegen, dass Stadtbewohner direkt vor ihrer Wohnungstüre, also in rund 100 Metern Entfernung die Möglichkeit zur alltäglichen Erfahrung von Stadtgrün haben sollten: "So könnte der alltägliche Kontakt mit Natur garantiert werden – beim Blick aus dem Fenster, auf dem Weg zum Einkaufen, zur Schule oder zur Arbeit." Einen Unterschied nach der Art des Baumes hinsichtlich ihrer positiven Wirkweise auf die psychische Gesundheit konnte in der Studie nicht festgestellt werden. Eine durchaus gute Nachricht: Wenn es unerheblich ist, um welche Art es sich bei den Straßenbäumen handelt, kann man nach anderen Gesichtspunkten auswählen: Bäume, die besonders positiv auf das Klima wirken, solche, die Insekten und Tieren Lebensraum bieten und solche die Allergiker-freundlich sind. "Kurz gesagt – jeder Baum tut gut", bekräftigt Bonn.


Für jedes Baby einen: Nürnberg pflanzt 5248 neue Bäume


Ein gutes Motto, dem auch Sör künftig noch mehr Aufmerksamkeit zuteil werden lassen will: Ein neues Sachgebiet Baum soll Mitte dieses Jahres seine Arbeit aufnehmen, wie Sör-Sprecher Winkel erklärt. Für das Frühjahr dieses Jahres sind bislang 330 Straßenbaumpflanzungen in Nürnberg geplant, darunter 130 Ersatz- und 182 Neupflanzungen, im Herbst sollen weitere 18 folgen. Ergänzt wird die Neupflanzung von Straßenbäumen noch um neue Bäume in waldartigen Flächen oder Grünanlagen. Ziel von Sör sind insgesamt 500 neue Bäume pro Jahr im Nürnberger Stadtgebiet. "Diesbezüglich sind uns zwei Dinge wichtig", fasst Schmidt vom Bund Naturschutz zusammen: "Zum einen muss die Zahl der Neupflanzungen die der Baumfällungen deutlich übersteigen - davon gehe ich aktuell nicht aus - und die Frage nach dem Ort der Pflanzungen, sie sollten nämlich in den dicht besiedelten und grün- und baumlosen Straßen innerhalb der Kernstadt gepflanzt werden".


Zur Sache:
Ein Feiertag zu Ehren des Baumes

Der 25. April steht jedes Jahr ganz im Zeichen des Baumes: Hinter dem offiziellen Tag des Baumes steckt eine lange Geschichte: Er wurde im Jahr 1872 von dem amerikanischen Journalisten Julius Sterling Morton ins Leben gerufen und am 27. November 1951 von den Vereinten Nationen beschlossen. Am 25. April 1952 wurde schließlich der erste Tag des Baumes in Deutschland begangen: Der damalige Bundespräsident Theodor Heuss pflanzte im Bonner Hofgarten einen Ahorn. Der Baumfeiertag soll das größte Lebewesen der Erde ehren und an die Bedeutung von Bäumen und des Waldes erinnern.


Leseraufruf:
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