#MeToo: Auch in Nürnberg äußern sich Missbrauchsopfer

17.11.2017, 05:56 Uhr
Durch die gegenwärtige MeToo-Kampagne trauen sich immer mehr Missbrauchopfer an die Öffentlichkeit.

© dpa/ Britta Pettersen Durch die gegenwärtige MeToo-Kampagne trauen sich immer mehr Missbrauchopfer an die Öffentlichkeit.

Christine Bauer (Name geändert) hat Jahre gebraucht, bis sie über die Geschehnisse in einem Nürnberger Pfarrhaus Ende der 1970er Jahre sprechen konnte. Damals begann der katholische Pfarrer, die elfjährige Ministrantin zu missbrauchen. Es ging fünf Jahre lang, so die heute 49-Jährige. Niemand sah hin, niemand half. Der Täter: gottgleich, unantastbar. Das Opfer: ein Kind. Erst nach schweren Depressionen, zehn Jahren Therapie, problematischen Liebesbeziehungen, als der Missbrauchsskandal die Kirche erschütterte, zeigte sie den Mann an. Die Straftaten war verjährt. Sie bekam ein "geringes Schmerzensgeld" von der Kirche, der Pfarrer durfte keine Messen mehr lesen.

Dass es wichtig ist, darüber zu reden, weiß auch die Nürnberger Schauspielerin Patricia Litten (63). "Das ist mir auch passiert, logisch", sagt sie sofort, berichtet von Schauspieldirektoren und Regisseuren ihrer Anfangsjahre, die ihr bei Proben "die Zunge in den Rachen gebohrt" und ihr an den Busen und zwischen die Beine gegriffen haben. Alle hätten das mitbekommen, niemand habe reagiert, so Litten.

"Es geschieht tagtäglich"

Die #MeToo-Kampagne allerdings bereitet ihr Unbehagen. Es sei eine Hexenjagd, wenn Schauspieler Kevin Spacey nach Missbrauchsvorwürfen sofort aus dem Film herausgeschnitten werde. "Aber es darf auch nichts unter den Teppich gekehrt werden", so Litten, die selbst ratlos ist, wie mit dem Thema richtig umgegangen werden könnte.

Eine von zwanzig Frauen wird vergewaltigt, eine von zehn erlebt andere Formen sexueller Gewalt. Das hat eine EU-Studie im Jahr 2014 festgestellt. Es geschehe "tagtäglich", so Hedwig Schouten (46), Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg. Sie ist zuständig für über 5000 Frauen in der Stadtverwaltung, gelegentlich höre sie von konkreten Fällen, kämen Betroffene in ihre Büro. Genaue Zahlen über Vorfälle und Disziplinarverfahren gibt es nicht. #MeToo findet die Frauenbeauftragte aber wichtig und richtig. "Über Sexismus muss geredet werden." Auch in Erlangen äußerten sich Frauen über ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexueller Gewalt.

"Der war ganz mit sich im Reinen"

Erlebt hat sie Übergriffe selber, als Jugendliche in den Niederlanden. Dort küsse man sich bei der Begrüßung drei Mal auf die Wangen. Ein Nachbar habe die Gelegenheit ausgenutzt und sie auf den Mund geküsst. Sie habe ihn ab da gemieden, sagt die 46-Jährige. Um aufzubegehren, sei sie zu jung gewesen. Die meisten Frauen, die Alltagssexismus erlebt und erlitten haben, wollen anonym bleiben. "Du hast tolle Lippen." "Der Rock geht wohl nicht mehr kürzer." "Wie eine Intellektuelle schaust du nicht gerade aus." Sätze, die eine 41-jährige Nürnberger Angestellte mit Hochschulabschluss nicht vergessen hat.

Dann ein Griff an den Po. Eine Attacke, so unfassbar wie offenbar weit verbreitet. Auch eine 43-Jährige hat sie erlebt, zwei Mal vom selben Kollegen, einmal sahen andere zu. "Der war ganz mit sich im Reinen", sagt sie über den Täter.

Solche Kampagnen im Netz weckten zu große Hoffnungen auf Veränderung, meint die Nürnberger Opferanwältin Andrea Kühne. Und sie öffneten Rachefeldzügen und falschen Anzeigen das Feld. Was die Juristin deprimiert: Oft komme Missbrauch zu spät ans Licht. Deshalb plädiert Kühne für längere Verjährungsfristen.

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