Modellbahn im Hauptbahnhof: Welt hinter Glas

25.3.2010, 00:00 Uhr
Modellbahn im Hauptbahnhof: Welt hinter Glas

© Helmut Bresler

Es ist kalt im Hauptbahnhof. Am frühen Nachmittag sorgen die ersten Pendlerströme für Hektik und strömen auf die Bahnsteige. In der Nähe des Südausgangs, unterhalb der Rolltreppen, die zur oberen Etage führen, steht ein Glaskasten mit vier Quadratmetern Fläche. Er birgt eine Modelleisenbahn-Anlage mit Bahnhof, Tunnel, Brücke, Häusern und einem hohen Sendemast.

Begeisterte Eisenbahner

Vier Züge drehen hier ihre Runden: Ein moderner ICE, eine Dampflok mit Autoreisezug, ein kurzer Güterzug und ein Nahverkehrszug. Jeder von ihnen ist von außen steuerbar – wer 50 Cent für sechs Runden einwirft, ist am Drücker. Fast versteckt gibt es sie in Nürnberg also immer noch, die Dinge, von denen Kinder und Männer träumen. Bis vor zehn Jahren drückten sie sich die Nasen am Fleischmann-Schaufenster in der Mittelhalle platt. Eine Gruppe Jugendlicher bleibt stehen, lacht über das scheinbar antiquierte Spielangebot. Einer zückt seine Geldbörse und bringt die Züge auf Trab. Die Skepsis der anderen weicht, und kurze Zeit später sind aus den coolen Jugendlichen für ein paar Minuten begeisterte Eisenbahner geworden.

Hans-Dieter Hoernig ist am frühen Morgen in seiner Heimatstadt Düsseldorf gestartet, hat am Hauptbahnhof Frankfurt eine Modell-Anlage überprüft, sieht jetzt in Nürnberg nach dem Rechten, bevor es am gleichen Tag weiter nach Stuttgart und Pforzheim geht. Die Szene mit den Jugendlichen hat er beobachtet, ohne sich einzumischen. Er lächelt darüber, als er die Glasvitrine öffnet, die Schleifkontakte der Lokomotiven überprüft, einen kritischen Blick auf die sonst verborgene Steuerungsautomatik wirft und die Geldkassette leert. Hoernig Miene wirkt zufrieden, als er die Kasse leert. 83 Jahre ist er alt, erfreut sich bester Gesundheit und lebt mit der Modelleisenbahn. Die Firma, der er ein Arbeitsleben lang angehört hat und der er sich immer noch verbunden fühlt, betreibt Unterhaltungsautomaten in nordrhein-westfälischen Bahnhofsgaststätten. Aus der verrückten Idee mit der Modelleisenbahn vor gut vierzig Jahren hat sich eine echte Geschäftsidee entwickelt.

Zurück in die Kindheit

Bis zum Umbau des Hauptbahnhofes vor rund zehn Jahren hatte er keine Chancen in Nürnberg. Die Firma Fleischmann stellte in einem Schaufenster wechselnde Anlagen aus, die damals über einen Wärmesensor per Handdruck in Betrieb gesetzt werden konnten. Mit dem Umbau verschwand diese Attraktion. Hans-Dieter Hoernig hatte dank seiner Hartnäckigkeit Erfolg, konnte nach langer Suche einen geeigneten Platz finden. Claudia Gremer, Nürnberger Bahnhofsmanagerin, sieht die Glasvitrine als gute Bereicherung des Angebotes: »Ich freue mich darüber, dass hier in der Geburtsstadt der ersten deutschen Eisenbahn noch Platz ist für ein Hobby, das scheinbar ausgestorben ist. Die Kinder lieben es – und die Väter denken gerne an die eigenen Kindheitstage zurück, wenn die Züge ihre Runden drehen.»

In der Tat hat es die Modelleisenbahn in den Kinderzimmern nicht leicht. Das teuere Hobby hat Fans verloren – der Niedergang der Hersteller in den letzten Jahren belegt das. Schienen und Züge hinter Glas stammen von der Nürnberger Firma Trix, die früher in der Kreulstraße fertigte. »Alle Anlagen fahren mit Trix, weil das Material robuster und weniger störanfällig ist als andere Fabrikate», begründet Hans-Dieter Hoernig seine Entscheidung und zeigt als Beweis die in den Stauräumen unterhalb der Anlage gestapelten Verpackungen.

Zuspruch wächst

Die heute bundesweit bekannte Modelleisenbahn in der Hamburger Speicherstadt - sie heißt »Miniaturwunderland» - hat das angestaubte Hobby wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geholt. Auch die gerade 50 Jahre alt gewordene Fleischmann-Schauanlage auf 50 Quadratmetern im Nürnberger DB-Museum hat nichts von ihrer Anziehungskraft verloren. »Stimmt», sinniert Hans-Dieter Hoernig und stellt fest, dass im Moment der Zuspruch zu den Vitrinenanlagen wieder wächst.

Und dann sollte ausgerechnet in Nürnberg keine Modellbahn fahren? Eigentlich müsste ja auch der Adler jetzt im Jubiläumsjahr hier seine Runden drehen. »Darüber werde ich mir Gedanken machen.» Er schließt die Glasklappen, sperrt die Technik-Türen zu, wirft einen letzten prüfenden Blick zurück und macht sich auf den Weg nach Stuttgart – zur nächsten Anlage in der Bahnhofshalle.