Musikverein: Vier Jahrzehnte im Dienst der Subkultur

22.10.2016, 13:32 Uhr
Musikverein: Vier Jahrzehnte im Dienst der Subkultur

© Collage: Musikverein

Miss Massacre, wie würden Sie den Musikverein jemandem beschreiben, der noch nie von ihm gehört hat?

Eve Massacre: Der Musikverein ist ein Kollektiv von Menschen, die zum Teil ehrenamtlich, zum Teil bezahlt Konzerte, Partys und Lesungen veranstalten. Hintergedanke ist, die Kultur in der eigenen Stadt aktiv mitzugestalten – und das ohne Vorbildung. Man muss nur für irgendein Thema brennen und das Gefühl haben, dass es dieses Thema in der Stadt sonst nirgendwo gibt. Dann kann man bei uns mitmachen. Der Musikverein ist aber ein Kollektiv, das heißt: Man muss schon Zeit reinstecken, und das über einen längeren Zeitraum.

Jetzt beschäftige ich mich viel mit Popkultur und auch über viele Tellerränder hinaus. Trotzdem verstehe ich die meisten Presseinfos vom Musikverein nicht. Bei vielen Ankündigungen, die ich lese, habe ich oft nicht den Hauch einer Ahnung, was ihr da treibt. Können Sie das nachvollziehen?

Massacre: Jein. Gerade die HipHop-/Bass-Musik-Ecke ist eine Urban Culture, die natürlich ständig neue Genres ausbrütet. Aber so was wie Trap und Dubstep ist ja nicht wirklich nischig. Ein DJ wie Skrillex tritt vor Hunderttausenden von Leuten auf.

Schon klar, aber wenn man Skrillex bei Rock im Park entdeckt, dann ist er bei euch schon längst wieder durch. Der Musikverein ist dann bereits beim Post-Dubstep.

Massacre: Klar, aber dazu sind wir ja auch da. Es wäre ja langweilig, wenn wir das machen würden, auf das gerade alle einsteigen. Das sehe ich auch als unser Ding: Dass wir Sachen finden wollen, die wieder spannend sind, und die nicht gerade jeder hört. Deshalb ist der Musikverein ständig auf der Suche. Wenn eine Musikrichtung bei Rock im Park angekommen ist, dann entwickelt sie sich in der Regel ja nicht mehr weiter.

Musikverein: Vier Jahrzehnte im Dienst der Subkultur

© Foto: privat

Ein anderes Wort, das bei euch inflationär auftaucht, ist "queer" …

Massacre: … weil uns auch bei Musik inhaltliche Themen wichtig sind. Wir haben seit acht Jahren mit "Orchid" eine Partyreihe für ein queeres Publikum. Natürlich stellt sich einem als Veranstalter immer wieder die Frage: "Kann ich so etwas in Nürnberg machen?" Ich weiß, in Berlin kommen da 500 Leute – kommen in Nürnberg überhaupt 50? Das ist ja ein ewiges Problem, dass Nürnberg nicht wirklich urban ist. Es gibt viele Menschen, die sich freuen, dass es so etwas dann auch mal in ihrer Stadt gibt, oft reicht es dann aber einfach nicht. Nehmen wir das Thema "Frauen": Wir hatten vor ein paar Jahren die Nase voll, dass bei uns fast nur Männer auf der Bühne stehen – und führen seitdem eine genaue Statistik, mit der wir uns selbst regelmäßig hinterfragen. Das klappt auch ganz gut und holt tatsächlich wieder merklich mehr Frauen ins Boot, nicht nur auf der Bühne, sondern auch bei uns im Team. Konkret heißt das aber auch, dass man eine Wunschliste macht von Künstlerinnen aus allen Bereichen, die man gerne mal bei sich hätte. Und sich dann dahinter klemmt, die zu kriegen. Natürlich macht das Arbeit, aber das, was von alleine an Angeboten rein kommt, ist ja ohnehin männlich dominiert. Weil es sonst bei einem Festival am Ende von 40 Musikern auf der Bühne doch wieder nur vier Frauen sind. Sowas schiebe ich dann aber ganz klar auf Faulheit.

Was war Ihr persönliches Highlight in 40 Jahren Musikverein?

Massacre: Da muss ich immer noch das Fugazi-Konzert 1999 im Z-Bau nennen. Musikalisch war Fugazi für mich eine ganz wichtige Band, die Punk und Dub zusammengebracht hat. Aber auch zu erleben, wie damals die ganzen kleinen Läden in der Stadt Hand in Hand zusammengeholfen haben, um dieses Konzert möglich zu machen: Alle hatten Lust, jeder half mit. Das hat auch die Band gemerkt und in Nürnberg mit über zwei Stunden das längste Konzert der Tour gespielt. Dieser Gedanke, zusammen zu feiern und etwas zu stemmen, der kam später noch einmal beim "Ladyfest Nürnberg" und bei "Melting Pop" auf. Das war noch vor der großen Partyflut, die wir heute haben – damals brauchte es auch noch keine Security.

Pünktlich zum 40. Geburtstag droht der MV seine langjährige Spielstätte, das Zentralcafé, zu verlieren. Das Künstlerhaus wird umgebaut, der MV solleinen komplett neuen Veranstaltungsraum im Keller kriegen. Es gab dazu einen offenen Brief, bei dem ich den Eindruck hatte, dass ihr an jeder Formulierung gefeilt habt ...

Massacre: Hmm, weniger an den Formulierungen als überhaupt eine Haltung zu finden.

… die ja sehr differenziert ist.

Massacre: Ja. Es ist nicht wie früher, als das Haus schon einmal umgebaut wurde und wir vor der Situation standen "Fliegen wir raus?". Dieses Mal kriegen wir das Angebot, dass uns ein nagelneuer Club hingestellt wird – extra für uns gebaut. Was ja auch ein totaler Schritt auf einen zu ist, verbunden mit der Aussage "wir wollen euch auch in Zukunft hier haben". Neue Technik, keine Terminabsprachen mehr, wir können den neuen Raum prägen, wie wir wollen – alles super.

Trotzdem will der Musikverein weiterhin das Zentralcafé an zentraler Stelle im Haus erhalten und bespielen …

Massacre: So bequem der neue Club für uns wäre – es würde etwas ganz Großes verschieben. Die Leichtigkeit der ersten Berührung: Das Leben, das das Haus am Abend hat, wird dem Kunstdurchlauf, also der Idee einer direkten ebenerdigen Verbindung vom Kunsthaus zur Kunsthalle, geopfert. Doch dann sind die Gänge abends leer und tot. Jetzt stolpert man ins Künstlerhaus rein und hat da sofort Flyer und Plakate für Veranstaltungen in der ganzen Stadt. Das geht weit über unsere Veranstaltungen im Zentralcafé hinaus und hält die Subkultur in der ganzen Stadt im Stadtzentrum präsent. Bei uns ist eine der letzten Stellen in der Stadt, wo man abends einfach mal vor der Tür stehen und sich laut unterhalten kann – was ein unglaublicher Freiraum ist. All das sind Dinge, die verloren gehen, wenn wir ins zweite Untergeschoss umziehen müssten. Klar ist der Keller eine coole Option. Uns fehlt nur die Vision für den Mehrwert auf kultureller Ebene. In einem Kulturzentrum soll es aber nicht nur um eine technisch-pragmatische Ebene gehen.

Stichwort "Z-Bau": Belebung oder tödliche Konkurrenz für den Musikverein?

Massacre: Der Z-Bau ist natürlich eine Konkurrenz, das war von Anfang an klar – egal, was da vorher alles versprochen wurde. Die Leute vom Z-Bau machen ja auch keinen Hehl mehr daraus, dass sie hinter Bands und DJs her sind, die oftmals zuvor von anderen Veranstaltenden in der Stadt gebucht wurden. Der Z-Bau baut auf dem auf, was vorher schon da war. Dort passiert nicht mehr spannendes Neues als anderswo in der Stadt. Deshalb stellt sich mir auch die Frage: Warum wird nicht dort investiert, wo Leute schon lange aktiv dabei sind?

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