Eskalationen

Nach dem Lockdown: Der Freiheitsdrang junger Menschen stellt die Polizei vor Probleme

14.6.2021, 20:19 Uhr
Die neu gewonnene Freiheit hinterlässt Spuren in der Öffentlichkeit. In Nürnberg halten sich viele Feiernde nicht an das neue Alkoholkonsumverbot. Die Folge sind Aggressionen und Übergriffe auf Polizeibeamte, die das Verbot durchsetzen müssen.

© NEWS5 / Merzbach Die neu gewonnene Freiheit hinterlässt Spuren in der Öffentlichkeit. In Nürnberg halten sich viele Feiernde nicht an das neue Alkoholkonsumverbot. Die Folge sind Aggressionen und Übergriffe auf Polizeibeamte, die das Verbot durchsetzen müssen.

Es wirkt so, als müssten vor allem junge Menschen jetzt viel nachholen. Lockdown, Ausgangssperren, Vereinzelung – über Monate hat sich da etwas angestaut. Mit den Lockerungen der Corona-Maßnahmen und den lauen Sommerabenden zieht es sehr viele Menschen ins Freie an bestimmte Orte. In Nürnberg sind es das Tiergärtnertor, die Hallerwiese, der Köpfleinsberg, die Wöhrder Wiese und der Kornmarkt.

Doch der Drang nach Freiheit beißt sich oft mit den noch bestehenden Regeln, die das Infektionsschutzgesetz vorgibt und aus denen Städte und Kommunen ihre konkreten Vorgaben entwickelt haben. In Nürnberg erließ die Verwaltung etwa vergangene Woche eine Allgemeinverfügung und legte ein Alkoholkonsumverbot für bestimmte öffentliche Plätze fest. Dazu zählt auch der Kornmarkt.

Steigender Alkoholpegel

Am vergangenen Samstag hat es hier zum zweiten Mal in Folge Reibereien gegeben. Laut Polizei trafen sich bis zu 200 vorwiegend junge Menschen. Wie auch schon am Wochenende davor nahm die Spannung nach der Sperrstunde um 23 Uhr unter den Leuten zu. Ursache: steigender Alkoholpegel. Obwohl die Polizei die Taktik anwendete, "niederschwellig" die Menschen zunächst auf Abstandsregeln und Alkoholkonsumverbot aufmerksam zu machen, wie es im Polizeipräsidium heißt, eskalierte die Lage wieder: Eine 19-Jährige schlug und würgte einen Polizisten. Oder: Nach einem Handgemenge zwischen mehreren Personen griff die Polizei ein, wollte schlichten – und wurde selbst wieder zur Zielscheibe: Die Beamten mussten Pfefferspray einsetzen, um die Kontrolle zu behalten.

"Problematisch ist in solchen Fällen die plötzliche Solidarisierung von unbeteiligten Menschen gegen die Einsatzkräfte. Die Kollegen stehen dann immer wieder größeren Gruppen gegenüber", erklärt Michael Konrad von der Pressestelle im Polizeipräsidium. Konrad erinnert auch noch einmal an die Situation am 5. Juni, eine Woche zuvor. Hier wurden Flaschen auf Einsatzkräfte geworfen. Eine traf einen Beamten am Kopf. "Da mussten Glassplitter aus der Kopfwunde entfernt werden." Als Antwort auf diese Eskalation erließ die Stadt in der vergangenen Woche die genannte Allgemeinverfügung.

Eine "scheinbare Anonymität"

Mit Blick auf die Flaschenwürfe laufen die Ermittlungen der extra dafür eingesetzten Arbeitsgruppe "auf Hochtouren", betont Konrad. Sobald Ergebnisse spruchreif seien, werde die Polizei berichten. "Wir ermitteln in dieser Hinsicht wegen gefährlicher Körperverletzung", sagt er. Klar ist: Einige Täter konnten unerkannt flüchten. Die Aufnahmen aus den Bodycams der Einsatzkräfte werden derzeit analysiert. Die Glasflaschen, so Konrad, wurden aus der zweiten Reihe in "scheinbarer Anonymität" geworfen. "Da wiegt sich jetzt der ein oder andere in Sicherheit. Wir werden aber alles daran setzen, dass das nicht so bleibt", verspricht er.

Auch in nächster Zeit wird die Polizeiinspektion Mitte das Partyvolk im Auge haben. Gegebenenfalls werden auch geschlossene Einheiten (USK, Einsatzzüge) eingesetzt. Doch die Polizei steht mit der Fußball-EM und Public Viewing vor weiteren Herausforderungen. Sicher ist: Alkohol wird an solchen Abenden auch außerhalb der Gaststätten in größeren Mengen getrunken – trotz Konsumverbots. Es sieht so aus, als ließe sich dieses Verbot nur schwer durchsetzen.

Alkoholika von zu Hause mitgebracht

Der Teufel steckt im Detail. Denn Alkohol trinken ist zwar nicht erlaubt, Alkohol mitführen aber schon. Grundsätzlich ist es satzungsgemäß verboten, sich in Grünanlagen und in der Fußgängerzone niederzulassen und einen Schluck Alkohol aus der Pulle zu nehmen – das war übrigens schon vor der Pandemie so, heißt es aus dem städtischen Ordnungsamt. Außerdem gilt seit Oktober 2018 rund um den Hauptbahnhof und in der Königstorpassage ein 24-Stunden-Alkoholverbot, um dort Schlägereien und Pöbeleien in den Griff zu bekommen.

Mit der neuen Allgemeinverfügung ist der Ausschank von offenen, mit Alkohol versetzten To-Go-Getränken im gesamten Stadtgebiet verboten. Sind sie geschlossen, also ist der Deckel drauf, ist es laut Ordnungsamt nicht verboten. Diese Regelungen gelten selbstredend nicht auf angemeldeten Ausschankflächen wie Biergärten, Terrassen und anderen Bereichen mit Außenbestuhlung. Die Feiernden vom Kornmarkt hatten überwiegend ihre alkoholischen Getränke von zu Hause mitgebracht oder mal schnell im Supermarkt gekauft, da sind sich Ordnungsamt und Polizei sicher.

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