Nach Moschee-Drohung: "Wir fühlen uns in Nürnberg sicher"

9.3.2020, 05:39 Uhr
"Nürnberg ist Bunt": Das finden nicht nur diese Teilnehmer einer Kundgebung gegen rechts, sondern auch viele Migranten, die sich auch nach Anschlägen wie in Hanau in dieser Stadt weiterhin sicher und wohl fühlen.

© Archivfoto: Roland Fengler "Nürnberg ist Bunt": Das finden nicht nur diese Teilnehmer einer Kundgebung gegen rechts, sondern auch viele Migranten, die sich auch nach Anschlägen wie in Hanau in dieser Stadt weiterhin sicher und wohl fühlen.

Nach Hassverbrechen wie dem Attentat auf Regierungspräsident Walter Lübcke, dem antisemitischen Synagogen-Anschlag in Halle oder den rassistischen Morden in Hanau melden sich oft Experten zu Wort, die die Zunahme solcher Taten auch dem Siegeszug der Rechtspopulisten mit zuschreiben. Indem sie Vorurteile gegen Migranten und religiöse Minderheiten schüren, rechtsextremen Positionen scheinbar Salonfähigkeit verleihen und das gesellschaftliche Klima vergiften, so die Erklärung, bereiten sie quasi den Nährboden mit, auf dem rechtsextreme Gewalt gedeihen kann.

So sah der Drohbrief aus.

So sah der Drohbrief aus. © Facebook: Ditib Röthenbach

Ein Phänomen, das zwar bundesweit viel beklagt wird, sich aber in Nürnberg so bislang nicht beobachten lässt – das finden zumindest viele der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund. "Natürlich gab es die Morde des NSU", sagt etwa Bülent Bayraktar. Auch der Drohbrief, den jüngst die muslimische Gemeinde in Röthenbach direkt vor den Toren Nürnbergs erhalten hat, sei besorgniserregend. "Aber die Stadtgesellschaft ist weder groß nach rechts gerückt, noch hat sie sich spalten lassen wie andernorts", findet Bayraktat.


Röthenbach: So reagiert die islamische Gemeinde auf den Drohbrief


Eine Einschätzung, die er nicht allein aus seiner persönlichen Erfahrung heraus trifft. Nein, als Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in der Metropolregion Nürnberg steht er mit vielen Migrantenvereinen im engen Kontakt und hat so den Finger am Puls der türkischen Community. Und die, so Bayraktar, fühle sich in Nürnberg weiterhin wohl und vor allem auch: sicher. "Ernstzunehmende Beleidigungen, Drohungen wie jüngst gegen die Muslimische Gemeinde in Röthenbach oder gar Übergriffe sind mir hier jedenfalls noch keine bekannt."

Mögliche Gründe, warum er in Nürnberg noch keinen spürbaren Rechtsruck in der Gesellschaft sieht, fallen ihm viele ein. Allen voran, so Bayraktar, die "sehr, sehr gute Arbeit, die Institutionen wie der Integrationsrat, das Menschenrechtsbüro der Stadt und die zahlreichen Vereine und Initiativen hier bei uns leisten". Ihrem Anspruch als Stadt der Menschenrechte werde Nürnberg jedenfalls gerecht, lobt er.

Schweigen ist gefährlich

Zudem gebe es nicht nur zahlreiche Schulen, die sich als "Schule mit Courage" gegen Rassismus engagieren, sondern ein breit angelegtes Netzwerk gegen Rechts, dem nicht nur Initiativen und Vereine, sondern auch Kirchen, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Institutionen angehören. "Das zeigt, wie wachsam Nürnberg gegenüber rechten Rattenfängern ist ", freut sich der TGMN-Chef. "Denn noch gefährlicher als Extremismus wäre es, wenn die Mitte der Gesellschaft dazu schweigt."

Nach Moschee-Drohung:

© Beck

Dass sie das bislang nicht tut, findet auch Cemalettin Özdemir von der Begegnungsstube Medina und hat dafür eine auf den ersten Blick erstaunliche Erklärung: "Dadurch, dass die Rechten in letzter Zeit mehr Aufmerksamkeit erregen, ist auch der gesellschaftliche Gegenwind gegen sie deutlich stärker geworden. Viele demokratisch gesinnte Menschen, die früher einfach nur geschwiegen haben, erheben nun ihre Stimme."

"Sie wird nur sichtbarer"

Und die weniger demokratisch gesinnten Menschen, die den Rechtspopulisten zunehmend Wählerstimmen verschaffen? Deren Zahl ist seiner Meinung nach nicht signifikant gestiegen. "Ich glaube zum Beispiel nicht, dass es heute viel mehr Menschen gibt als früher, die Vorurteile gegenüber Migranten, Muslime, Juden oder anderen Gruppen haben", sagt Özdemir. "Es ist eher so, dass sie einfach nur sichtbarer sind, weil sie sich jetzt eher trauen, ihre Ressentiments offen zu zeigen."

Gerade antimuslimische Vorurteile, so Özdemir, seien in den letzten Jahren schon "fast gesellschaftsfähig" geworden. Als Leiter der Begegnungsstube, die sich seit Jahrzehnten für den interreligiösen Dialog in Nürnberg einsetzt und jede Jahr als 10.000 Besucher zählt – von Schülern bis hin zu Polizisten, Krankenschwestern und anderen Berufsgruppen – kann er davon ein Lied singen.

Großer gegenseitiger Respekt

Unsicher in der Stadt fühlt er sich deswegen ebenso wenig wie Tahir Aksu vom Arbeitskreis Muslime in Nürnberg, in dem sich alle muslimischen Gemeinden der Stadt koordinieren. An Übergriffe auf deren Moscheen oder Mitglieder – wie es sie anderswo in der Republik zuletzt häufiger gab – kann er sich nicht erinnern. "Nürnberg ist schon etwas anders", räumt er ein. Als einen der Gründe, warum das so ist, nennt auch er die Arbeit der Kommune, die sehr aktiv sei. Der Dialog zwischen den muslimischen Organisationen und der Stadt sowie anderen Akteuren sei von "großem gegenseitigem Respekt" geprägt, lobt Aksu und fügt hinzu: "Aber Luft nach oben für Verbesserungen gibt es immer".

So könnte auch das Motto von Dimitrios Krikelis lauten, der sich erst als Mitglied und heute als Vorsitzender des Integrationsrats (IR) seit Jahren für das friedliche Miteinander in Nürnberg einsetzt. Krikelis sieht den Rat dabei nicht nur als Sprachrohr und Interessenvertretung aller Nürnberger mit Migrationshintergrund. Der IR sei auch Speerspitze im Kampf gegen den Rechtspopulismus, der seiner Meinung nach aktuell aber eher am Abflachen sei: "Populistische Thesen und einfache Antworten verfangen in Nürnberg immer weniger." Damit das so bleibt, sei aber weiterhin konsequenter Einsatz gefordert – auch in den eigenen Reihen: "Was meinen Sie, wie viel Aufklärungsarbeit wir Woche für Woche in Stadtteilen wie Langwasser leisten, wo russischstämmige Migranten mit der AfD sympathisieren?"