Nervöse Spannung liegt in der Luft

26.11.2007, 00:00 Uhr
Nervöse Spannung liegt in der Luft

© Sippel

Es ist 14 Uhr. In einer Stunde beginnt die Nachmittagsvorstellung. Noch ist die Manege menschenleer. Obwohl - so ganz stimmt das nicht. Vier Männer in schicken roten Uniformen mit goldenen Knöpfen sitzen in einer der vorderen Zuschauerreihen. Marcel Hutzli, Markus Wietkamp, Dominik Riebling und Nicolai Nijim sind Requisiteure. Sie ruhen sich noch ein bisschen aus, denn bald beginnt für sie der Stress. Sie sind für den flüssigen Ablauf der Show entscheidend, und doch wird das Publikum von ihnen kaum etwas mitbekommen. Zwischen den einzelnen Nummern huschen sie auf die Bühne, bauen Geräte ab und rollen andere hinein. Das alles ist nicht nur körperliche Schwerstarbeit, es muss auch zeitlich perfekt abgestimmt sein. Mittlerweile haben sich auch einige Artisten in den Zuschauerrängen eingefunden, wärmen sich auf oder plaudern miteinander.

Martina Kurz putzt die Pferde und das Pony

Doch auch außerhalb des Zirkuszeltes laufen die Vorbereitungen für die Vorstellung auf Hochtouren: Im Pferdestall putzt Martina Kurz die sechs weißen Araber und das Pony, die später voller Anmut durch die Manege traben werden. Die Pferde sind während der Prozedur angebunden, damit sie sich mit dem frisch geputzten Fell nicht noch mal im Stroh wälzen. Martina Kurz ist erst seit diesem Sommer Pferdepflegerin bei Roncalli. «Ich war schon immer Zirkusfan. Und wer Zirkus liebt, geht zu Roncalli», erklärt sie. Die Pferde wirken ruhig und entspannt. Wissen sie, dass es nun bald losgeht? «Ich glaube nicht. Erst, wenn sie die Musik hören, werden sie ein bisschen nervös», sagt Martina Kurz und schiebt einen ihrer Schützlinge liebevoll beiseite, um ihn besser striegeln zu können.

Es ist halb drei, bleibt also Zeit für einen kleinen Rundgang auf dem Zirkusgelände. Es ist eine beeindruckende Anzahl von Wohnwagen, die dort dicht an dicht stehen. Kein Wunder, arbeiten insgesamt doch rund 130 Menschen beim Circus Roncalli. Allein sechs Techniker und drei Elektriker reisen mit.

Viertel vor drei. Der Einlass beginnt. Das Besondere bei Roncalli: Alle Artisten und das Orchester begrüßen die Zuschauer. Mit sichtlicher Begeisterung spielen die Musiker fröhliche Zirkusmusik, während Pferde-Dresseuse Sarah den Kindern kleine Lippenstift-Herzchen auf die Wangen malt. Später wird sie per Peitschenknall sechs feurige Araber im Zaum halten, jetzt schminkt sie mit einem Lächeln das kleine Mädchen, das kichernd vor ihr steht. Trotzdem ist Sarah froh, als ein Pfiff das Ende des Begrüßungskomitees ankündigt. Fröstelnd läuft sie mit ihrem dünnen Tüllröckchen ins Warme. Das Orchester spielt indes noch schnell einen spontanen Geburtstagstusch für einen Zuschauer.

Bis zum Beginn der Vorstellung bleiben fünf Minuten: Genug Zeit, um noch kurz einen Blick in den Wagen der Roncalli-Schneiderin Miriam Peters zu werfen. Sie logiert ganz in der Nähe des Zeltes - aus gutem Grund: «Wenn ein Kostüm kaputtgeht, kommen die Artisten zu mir.» Da kann es auch durchaus vorkommen, dass ein verzweifelter Künstler mit geplatztem Hosenboden vor ihr steht: «Man muss flexibel sein», sagt sie lächelnd. Schon eine Stunde vor Einlass und dann während der gesamten Show ist die Schneidermeisterin abrufbereit.

Jeder ist auf seinen Auftritt fokussiert

Plötzlich erklingt Musik: Die Vorstellung fängt an. Hinter der Bühne machen sich einige Artisten warm. Spannung und Konzentration liegen in der Luft. Jeder ist auf seinen Auftritt fokussiert. Mindestens zwei Nummern vorher müssen die Künstler fertig hinter dem Vorhang stehen - falls mal einem Artisten schlecht wird und eine Nummer ausfällt. Auf einem Monitor können die Künstler das Geschehen in der Manege verfolgen. Trapezkünstler Rodrigue Funke vom «Duo Sorellas» macht Klimmzüge an zwei Haltegriffen, die etwas über zwei Meter vom Boden entfernt an einem Gerüst angebracht sind. Als sie an der Reihe sind, führen die beiden Artisten ein kleines Ritual durch, das mit dem Wort «Chaka» endet und schreiten gemeinsam durch den Vorhang.

Auch Katie und Quincy Santos trainieren schon hinter dem Vorhang, obwohl sie erst nach der Pause dran sind: «Schau dir nachher mal die Nummer an, dann weißt du, warum meine Muskeln warm sein müssen», sagt die 18-jährige Katie. Aber eigentlich reicht schon das Training, um das zu verstehen. Katie balanciert ihre 16-jährige Schwester auf dem Kopf: Zunächst stützt sich Quincy noch bei Katie ab, aber schließlich sind die beiden nur noch durch ihre Köpfe miteinander verbunden.

Als eine Übung nicht hundertprozentig klappt, fallen ein paar gereizte Worte zwischen den Schwestern: So kurz vor ihrem Auftritt liegen die Nerven blank. «Da schießt einem noch mal alles durch den Kopf, was schief gehen könnte. Wenn es losgeht, vergisst man das aber schlagartig», erzählt Katie.

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