Wohnraum

Neubaugebiete in Nürnberg: Mieterbund ärgert sich über Proteste

4.8.2021, 19:05 Uhr
Mit einem Autokorso protestieren mehrere Menschen gegen das Bauvorhaben an der Rennbahn in Reichelsdorf.

© Stefan Hippel, NNZ Mit einem Autokorso protestieren mehrere Menschen gegen das Bauvorhaben an der Rennbahn in Reichelsdorf.

Nürnberg wächst. Das ist wichtig, sagt Gunther Geiler. Deshalb kann der Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds in Nürnberg nicht nachvollziehen, wenn gegen schon lange geplante Wohnprojekte gewettert wird – wie aktuell in Wetzendorf oder an der alten Radrennbahn im Reichelsdorfer Keller.

Herr Geiler, in Wetzendorf sorgt sich der Bund Naturschutz um Ackerflächen und Tiere, die durch das geplante Neubaugebiet mit Platz für 2800 Bewohner verdrängt werden. Wie sehen Sie das?

Gunther Geiler: Mich verwundert, dass der Prozess für dieses Gebiet schon lange läuft – und nun solche Vorwürfe kommen. Kann man das nicht eher anbringen?

Will für die Menschen sprechen, die eine Wohnung suchen: Gunther Geiler, Geschäftsführer beim Deutschen Mieterbund in Nürnberg.

Will für die Menschen sprechen, die eine Wohnung suchen: Gunther Geiler, Geschäftsführer beim Deutschen Mieterbund in Nürnberg. © Eduard Weigert, NN

Sie wirken sauer.

Gunther Geiler: Mich stört, dass es dem BN nicht darum geht, dass man das Projekt später realisiert oder den Umweltschutz noch besser berücksichtigt wissen will – sondern es offensichtlich auf Dauer verhindert werden soll. Außerdem ärgert mich, dass sofort auf andere Flächen verwiesen wird.

Der BN will lieber brach liegende Industrieareale nutzen.

Gunther Geiler: Genau. Und mir ist nicht geläufig, dass solche Flächen verfügbar sind. Das klingt, als werden solche Areale nicht genutzt. Das wäre mir neu. Ich finde es schwierig, pauschal auf andere Flächen zu verweisen.


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Sondern?

Gunther Geiler: Wir müssen konstruktiv überlegen, wie der Schutz von erhaltenswerten Flächen oder Tieren gewährleistet werden kann, abwägen und entsprechend bauen. Deswegen habe ich ein Problem damit, wenn es pauschal heißt: ,Wohnungsbau gern, aber gerade hier vor meiner Tür nie und nimmer‘. Ich werde das Gefühl nicht los, dass der eine oder andere Eigenheimbesitzer den Umweltschützer in sich immer erst dann entdeckt, wenn neben seinem Häuschen gebaut werden soll.

Weil Sie das oft erleben?

Gunther Geiler: Nicht, wenn es um die Neubaugebiete mit Einfamilienhäuschen geht. Sobald aber mehrstöckig gebaut wird, folgt oft eine Blockade-Haltung. Bei Verdichtung ist es noch schlimmer. Dann ist die Natur in Gefahr oder die Anwohner leiden. Es geht nur noch um den Schutz derer, die dort leben. Die haben ja ein Sprachrohr.


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Und wer hat keines?

Gunther Geiler: Mehrere tausend Menschen, die in Wetzendorf oder dem Areal der alten Radrennbahn einmal eine Wohnung bekommen könnten. Deren Sprecher bin ich gerne. Und für die langt eben nicht aus, was auf den wenigen Brachen irgendwann einmal gebaut werden kann. Es ist völlig unstrittig, dass wir Wohnungsbau brauchen.

Wohnraum fehlt also weiter?

Gunther Geiler: Nürnberg hat nach den Neubauversäumnissen der letzten Jahre viel aufzuholen. Nicht nur solange es Zuzug auf Metropolen gibt, muss ich den Markt befriedigen. Wenn Paare sich trennen, werden zwei Wohnungen gebraucht, wo früher eine reichte. Die Tendenz, dass Menschen eher allein wohnen, führt auch zu einer erhöhten Nachfrage.

Also muss gebaut werden?

Gunther Geiler: Die Lösung heißt nicht ausschließlich ,bauen, bauen, bauen‘. Es geht darum, wie gebaut und modernisiert wird – nämlich sozialverträglich. Wo neu gebaut wird, liegen die Mietpreise selten unter 11 Euro pro Quadratmeter. Wer nur sechs, sieben Euro hat, bleibt auf der Strecke. So lösen wir das Problem des Friseurs oder der Sekretärin nicht.

Wie lässt sich das ändern?

Gunther Geiler: Wir müssen umdenken, die Verantwortung woanders sehen – auch bei den Wohnungsbesitzern. Das aber ist nicht innerhalb eines Jahres zu ändern.

Für viele ist das eine Altersvorsorge.

Gunther Geiler: Wegen einer möglichen Lücke zwischen Kaufkosten und Mieten stören sich viele Kleinanleger an Mietregulierungen. Und fragen: Wie soll ich das mit regulierten Einnahmen finanzieren? Aber das ist eben nur eine von zwei Fragen. Die zweite: Wieso dürfen Veräußerer von Boden oder Immobilien eigentlich jeden noch so hohen Preis verlangen? Ich verstehe nicht, wieso diese Frage nicht im Ansatz gestellt wird. Eine Debatte, die nur die eine Frage stellt, die andere aber von Haus aus ignoriert, ist nicht ehrlich und im Falle des Bodens, von dem man bei steigender Nachfrage nicht eben mal mehr herstellen kann, auch nicht sehr klug.

Wie kann das gelöst werden?

Gunther Geiler: Mit mehr Gerechtigkeit. Ich finde es nicht gerecht, dass Besitzer großer Immobilien umgewandelte Eigentumswohnungen teuer verkaufen, wenn der hohe Kaufpreis an den Erwerber von den Mietern bezahlt wird. Dasselbe gilt, wenn Objekte gegen den Willen der Mieter hochmodernisiert werden. Kommunen können hier regeln und müssen es auch.

Und die, die schon eine Wohnung teuer bezahlt haben . . .

Gunther Geiler: . . .und das Risiko des überteuerten Erwerbs auf Mieter abwälzen? Wenn unbedingt nötig, können Regularien auch Härtefallregelungen enthalten. Zur vollen Wahrheit gehört aber eben, dass auf Mieterseite eine Person, die ja parallel zu ihrem Vermieter altert, mit der Befürchtung leben muss, dass ihre Miete ständig steigt.

Mit überschaubarer Rente.

Gunther Geiler: Genau. Mietwohnungen sind doch nur deswegen als Altersvorsorge interessant, weil der Staat die Menschen ohne ausreichende Rente allein lässt. Wenn dann jeder mit halbwegs Geld sein Heil in der vermieteten Eigentumswohnung sucht, weil er auf das Sparbuch ebenso wenig kriegt wie auf die Lebensversicherung, zahlt der Mieter das Versagen des Staates in der Rentenfrage. Das ist nicht fair.

So soll das Neubaugebiet in Wetzendorf aussehen.

So soll das Neubaugebiet in Wetzendorf aussehen. © Schellenberg+Bäumler Architekten GmbH, Dresden, NNZ

Also lieber mehr Risiko beim Vermieter?

Gunther Geiler: Mehr Risiko wünsche ich niemandem. Menschen oder Unternehmen, die vermieten oder verpachten, dürfen zumindest in attraktiven Regionen derzeit mit stetig steigenden Mieteinnahmen rechnen. Und die einzige Grenze, die das Gesetz da zieht – 15 Prozent in drei Jahren – muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Ich finde diese Bevorzugung nicht gerechtfertigt. Vor allem wenn man sich vor Augen führt, dass die vielen Menschen, deren Geld für den Alltag, aber nicht für eine Immobilie reicht, mit ihren Sparbüchern praktisch gar keine sinnvolle Altersvorsorge mehr finden.

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